Heather
Entschuldigen Sie, Ma’am, ich werde mich gleich übergeben. Könnten Sie mir etwas bringen, wo ich hineinkotzen kann?
Sir, ich würde meine Kate Spade-Tasche lieber nicht ruinieren, indem ich hineinbreche. Könnten Sie mir weiterhelfen? Sie sind zu freundlich.
Selbst während ich darüber nachdenke, wie ich einen der Flugbegleiter am freundlichsten um eine Kotztüte bitten könnte, trete ich mir gedanklich in den Hintern. Ich hätte mir ein Ginger Ale holen sollen, bevor ich an Bord des Flugzeugs ging, und keinen Karamell-Macchiato, der hauptsächlich aus Sahne bestand. Ich glaube, meine Überlegung dabei war, dass dieser ganze Flug keine große Sache sein würde, wenn ich ihn wie jedes andere Ereignis betrachtete – und mir eine verrückte Kaffeespezialität holte, wie ich es immer tue.
Zu dumm, dass ich damit völlig falsch lag.
Stocksteif sitze ich auf meinem Platz in der Holzklasse, atme zitternd und mit geballten Fäusten ein und versuche, mich nicht vor lauter Angst zu übergeben, während dieser blöde Macchiato wie ein irrer Stepptänzer in meinem Magen herumtanzt. O Gott, ich möchte wirklich nicht in meine brandneue Handtasche brechen, doch die Kotztüte, die normalerweise in der Tasche des Sitzes vor mir stecken sollte, ist von meiner fünfjährigen Nachbarin geklaut worden. Das kleine Kind, das neben mir auf dem mittleren Platz sitzt, hat meine und noch zwei andere Tüten freundlicherweise mit Buntstiftgekritzel verziert. Es wäre vermutlich ziemlich unhöflich, die Kleine vollzukotzen oder auch in eines ihrer künstlerischen Meisterwerke, aber mittlerweile kann ich für nichts mehr garantieren.
Als ich das letzte Mal geflogen bin, war ich acht Jahre alt. Es war ein Desaster. Mir war bereits schlecht, bevor das Flugzeug abhob, und während des gesamten Fluges – immerhin ein vierstündiger – konnte ich nicht aufhören zu weinen. Ich war überzeugt, dass wir abstürzen würden. Das Schlimmste war das Gefühl, das Flugzeug nicht verlassen zu können; ich konnte einfach nur warten, bis wir sicher wieder auf dem Boden waren. Bis dahin waren meine Eltern so geschafft, dass sie mir versprachen, mich nie wieder zum Fliegen zu zwingen.
Jetzt bin ich sechsundzwanzig und meine Flugangst ist kein bisschen besser geworden.
Wahrscheinlich, weil Fliegen immer noch das Allerletzte ist, das Menschen tun sollten. Die Leute erzählen mir, dass die Wahrscheinlichkeit, bei einem Autounfall ums Leben zu kommen, viel höher sei, aber wenn ich fahre, sitze ich wenigstens selbst am Steuer. Im Flugzeug? Kann ich einfach nur dasitzen und das Beste hoffen, offensichtlich kann ich das nicht besonders gut.
Ich lege mir die Hand auf den Mund, um ein hysterisches Lachen zu unterdrücken. Die Frau, die auf dem Fensterplatz sitzt, wirft mir einen merkwürdigen Blick zu und nimmt ihre kleine Tochter auf den Schoß.
Ich winke die Stewardess heran, die mit erhobener Augenbraue auf mich zukommt. „Könnte ich ein Glas Wasser bekommen?“, krächze ich.
Die Frau lächelt mich gezwungen an. „Es tut mir leid, aber Sie werden warten müssen, bis wir in der Luft sind.“
„Bitte, nur etwas Wasser, mir ist schlecht.“
Die Flugbegleiterin sieht aus, als ob sie lieber etwas anderes machen würde, doch sie seufzt und geht mir ein Glas Wasser holen. Sie bringt es mir und es ist lauwarm und riecht nach Desinfektionsmittel. Ich danke ihr, bevor ich das Glas leere. Es hilft meiner Kehle etwas, aber das war es auch schon.
Während sich die Flugbegleiter auf den Start vorbereiten, versuche ich mich von der ganzen Flugsache abzulenken, indem ich Bella lese, ein Modemagazin, das bald meine Modekollektion vorstellen wird. Ich besitze eine Boutique namens Talina in Los Angeles, die tolle Presse bekommt, und morgen habe ich ein großes Shooting. Bellas Chefredakteurin, Rebecca Harris, liebt meine Sachen, und dieses Shooting ist eine große Sache. Normalerweise würde ich mir jede Werbeanzeige auf den Hochglanzseiten mit einem Auge fürs Geschäft ansehen und mir Notizen für meine nächste Modelinie machen. Doch jetzt gerade besteht alles nur aus Farben und Wörtern, die ich scheinbar nicht lesen kann.
Als das Flugzeug über die Startbahn rollt und langsam immer schneller wird, gebe ich das Lesen auf. Ich packe die Armlehnen so fest, bis meine Finger schmerzen, und singe in Gedanken immer wieder, nicht kotzen, nicht kotzen, nicht kotzen.
„Sind Sie in Ordnung?“, fragt die Frau neben mir. Irgendwann hatte sie das kleine Mädchen wieder auf ihren Platz gesetzt, nun halten sie sich an den Händen.
„Mir geht es gut.“ Warum habe ich nichts zur Beruhigung mitgenommen? Ich bin eine Idiotin. Wenn ich mich nicht gerade verzweifelt an den Armlehnen festhalten würde, würde ich mir frustriert an die Stirn hauen.
Ich bemerke, wie ruckartig ich atme. Bekomme ich gerade einen kompletten Nervenzusammenbruch? Ich beiße mir auf die Zunge und das Flugzeug macht zum Glück genug Lärm, damit außer der Frau neben mir niemand meine Qualen zu bemerken scheint. Obwohl ich das Gefühl habe, sie denkt, ich sei nur eine Verrückte, die nicht weiß, wie man wie ein normaler Mensch ein- und ausatmet.
Als wir schließlich in der Luft sind, hämmert mein Herz und meine Atmung beruhigt sich etwas. Ich bin immer noch ängstlich und nervös, aber ich kann zumindest eine Sekunde die Augen schließen und so tun, als wäre ich auf dem Boden. Dem gesegneten, wundervollen Boden.
Die Frau neben mir spricht mit jemandem im Gang hinter uns. Ich lasse meine Augen geschlossen, spüre dann aber eine Berührung an meinem Arm.
„Entschuldigen Sie, haben Sie geschlafen?“, fragt die Frau. Als ich den Kopf schüttele, sagt sie: „Würden Sie mit meinem Mann die Plätze tauschen, wenn es Ihnen nichts ausmacht? Uns wurde gesagt, dass wir warten müssen, bis wir in der Luft sind, sonst hätte ich schon früher gefragt.“ Sie lächelt mich hoffnungsvoll an.
Ich packe die Armlehnen und aus irgendeinem Grund wird mir bei der Vorstellung, aufzustehen und in den Gang zu gehen, schwindelig. Ich kann mich nicht bewegen. Wie kann sie mich das fragen? Was, wenn sich ein Loch im Boden auftut und ich genau hineinfalle?
Ich schüttele erneut den Kopf. „Ich kann nicht, tut mir leid“, sage ich mit einer Stimme, die beschämend schroff klingt. Wenn ich nicht so ein Häufchen Elend wäre, würde ich mich entschuldigen, doch ich schaue einfach weg, als die Frau mich ein zweites Mal fragen will.
Ich höre, wie sie sich mit ihrem Mann berät, der verärgert klingt. Ich kann es ihm nicht übel nehmen. Ich muss wie das größte Miststück auf Erden erscheinen.
„Ich kann mich umsetzen“, sagt eine dritte Stimme. „Ich auch“, sagt eine weitere Männerstimme. „Dort hinten ist ein freier Platz.“
Bevor ich weiß, was hier geschieht, quetschen sich die Frau und ihr kleines Mädchen durch den Gang (das einzig Gute daran, dass ich klein bin, ist die Tatsache, dass ich nicht aufstehen muss, um die Frau vorbeizulassen), und dann steht ein Mann vor mir, den ich noch nie gesehen habe.
„Würdest du Platz machen, damit ich vorbeikomme?“
Sein aufgesetzter Tonfall irritiert mich. Ich sehe auf und erblicke einen Mann, den ich nur als lecker bezeichnen kann: Er hat dunkle Haare, grüne Augen, ist groß und muskulös und seine Gesichtszüge sind wie aus Marmor gemeißelt. Ich bemerke, dass er wie eine griechische Statue aussieht. Hoffentlich hat er nicht genau dieselben Proportionen. Als mir bewusst wird, dass ich über den Schwanz irgendeines fremden Kerls nachdenke, unterdrücke ich ein Lachen. Herrgott, ich bin zum Totlachen, oder?
„Äh“, sage ich hilfreich.
Der Mann runzelt die Stirn und quetscht sich zwischen mir und dem Sitz vor mir hindurch, wobei verschiedene seiner Körperteile mehrere meiner Körperteile streifen. Bevor ich mich versehe, sitzt er neben mir auf dem mittleren Sitz und pfercht mich mit seinem harten, schönen Körper ein. Ich höre, dass sich die Frau und ihre Tochter hinter uns setzen, begleitet vom Gemurmel des Ehemanns über ätzende Leute, die sich ätzend verhalten.
Ich bin verblüfft angesichts der Dinge, die gerade geschehen sind, und meine Gedanken überschlagen sich immer noch, als das Flugzeug leicht wackelt.
„Wie heißt du?“, fragt mich mein Nachbar mit einer Stimme, die genauso traumhaft ist wie der Rest von ihm. Während ich wieder in die Realität zurückkatapultiert werde, kann ich gerade so ein Stöhnen des Grauens unterdrücken.
Ich will zu ihm sagen, dass wir hier nicht auf einer Networkingveranstaltung sind, aber mein unhöfliches Verhalten ist mir so peinlich, dass ich sage: „Heather.“
„Ah. Das hatte ich nicht erwartet. Angesichts deines Verhaltens gerade eben kommt mir ‚verzogene Göre‘ passender vor.“
Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn an. Hat er mich gerade –?
Ich konzentriere meinen Blick auf den Sitz vor mir.
Warum muss der heißeste und dennoch arroganteste Typ, den ich seit einer Ewigkeit gesehen habe, auf diesem Höllenflug neben mir sitzen? Beinahe schwenke ich meine Faust zur Decke. Was habe ich nur getan, um diesen Tag zu verdienen?
„Also, ich bin einfach neugierig. Was für eine Frau weigert sich, die Plätze zu tauschen, damit eine Familie zusammensitzen kann?“
Ich schaue ihn böse an, obwohl seine Stimme meinen Körper zum Glühen bringt. Ich rede mir verzweifelt ein, dass es daran liegt, dass mein Körper durch meine Flugangst aus dem Gleichgewicht gekommen ist, und nicht daran, dass sich meine verfluchte Schwäche für Bad Boys wieder einmal zeigt.
„Mach dir nicht in die Bluse, du Göre, es hat mich einfach interessiert.“
„Hör auf, mich Göre zu nennen“, bringe ich hervor. In der einen Sekunde sabbere ich und in der nächsten will ich ihm eine knallen.
Er lehnt sich näher zu mir. „Der Spitzname erscheint mir passend für jemanden, der sich selbst viel zu wichtig nimmt. Ich würde sagen, dir müsste mal ordentlich der Hintern versohlt werden, aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass dir das viel zu sehr gefallen würde.“
Ich kann nicht sprechen. Ich atme ein, doch mein Herz hämmert, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Ich weiß nicht, ob ich eher angeturnt oder genervt bin. Eigentlich bin ich beides, glaube ich, aber das werde ich ihm nicht verraten.
„Du, du …“, stottere ich. Ich habe mich als Idiotin entlarvt. Könnte dieser Tag überhaupt noch schlimmer werden?
Er lacht. „Wie ich schon gesagt habe, mach dir nicht in die Bluse. Übrigens ist es eine ziemlich nette Bluse.“ Er schielt in meinen leichten Ausschnitt und sein Blick wird heiß.
Meine Nippel werden steif, diese verfluchten Verräter, und ich weiß, dass er es sehen kann.
Nachdem ich die Armlehne zwischen uns nach unten geknallt habe, drehe ich mich weg und weigere mich, ihn weiterhin anzusehen. Das hält ihn jedoch nicht vom Reden ab.
„Du hast meine Frage nicht beantwortet. Was für eine Frau weigert sich, die Plätze zu tauschen? Hasst du es einfach, wenn Menschen zusammen sind?“
Ich knirsche mit den Zähnen. „Das geht dich nichts an.“
„In Anbetracht der Tatsache, dass ich derjenige bin, der die Plätze getauscht hat, geht es mich schon etwas an, denke ich. Komm schon, ich versuche zu verstehen, wie solche Gören wie du denken.“
„Wahrscheinlich ungefähr genauso, wie Arschlöcher denken, also solltest du es bereits wissen.“
Er lacht und dieser Klang lässt mich frösteln. „Die Göre hat Krallen. Ich bin beeindruckt.“ Er rückt noch näher und mir wird plötzlich klar, dass er die Armlehne wieder hochgeklappt hat. Sein Arm berührt mich an der Seite. „Setzt du diese Krallen regelmäßig ein? Denn ich finde, ein bisschen Kratzen macht bereits angenehme Aktivitäten sogar noch angenehmer.“
Ich kann mich nicht gegen die Bilder wehren, die mir durch den Kopf gehen: seine Hände, die mein Bein nach oben gleiten und mich dort berühren, wo ich bereits heiß und feucht bin. Sein muskulöser Rücken, der mit Kratzern übersät ist, die ich ihm verpasst habe.
Mittlerweile hechle ich regelrecht. Allerdings ignoriere ich ihn bewusst und sehe aus dem Fenster.
Dieses Mal kann ich mein ängstliches Stöhnen nicht unterdrücken, als ich nichts außer Wolken sehe.