„Eure Hoheit, ist das wirklich nötig?“
Prinzessin Arabella von Salasia grinste ihren Bodyguard an, während sie ihm passend zu ihren eigenen rote Streifen ins Gesicht malte. „Das ist es, Royce. Du hast gesagt, du würdest mir dabei helfen, mich dem Publikum anzupassen, damit ich sicher bin. Also halt schon still.“ In voller Konzentration biss sie sich auf die Unterlippe. Wenn ihre Zeit in Amerika auskosten hieß, dass sie sich dafür eine Kriegsbemalung ins Gesicht pinseln musste, dann bitte.
Arabella und Royce waren noch nicht lange in New York City und würden gleich ein Spiel der New York Knights gegen die Savannah Bootleggers, Arabellas Lieblingsteam, besuchen. Mein erstes Football-Spiel dachte sie überglücklich, auch wenn Kyle Young heute Abend nicht spielte.
Kyle Young – der knallharte Quarterback.
Kyle Young – der teuflisch heiße.
Kyle Young – der so verdammt gut in diesen knackig-engen Hosen aussah.
Seit einigen Jahren schon war er ihr Lieblingsspieler. Sie verfolgte seine Karriere über die sozialen Netzwerke und jede erdenkliche Klatschseite genauestens. Nicht nur sah er umwerfend aus, er war außerdem auch noch ein talentierter, kluger Spieler, der seine Fähigkeiten im Laufe der Jahre immer weiter ausgebaut hatte. Doch, was sie nie jemand anderem gegenüber gestehen würde, sie stellte sich oft auch seine weiteren, verborgenen Talente vor. So etwas hätte natürlich niemals jemand von einer Prinzessin wissen dürfen.
Sie wünschte sich, sie könnte ihn heute spielen sehen, doch er hatte sich eine leichte Verletzung zugezogen und musste die nächsten beiden Spiele auf der Bank sitzen. Stattdessen hatten sie Brian Murphy, ihren Ersatz-Quarterback aufgestellt. Damit kam sie klar; den mochte sie auch. Nichts konnte die Vorfreude auf ihr erstes großes Abenteuer in Amerika ruinieren.
Arabella war vor vierundzwanzig Jahren in dem kleinen europäischen Fürstentum Salasia zur Welt gekommen und dort aufgewachsen und zwar mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund. Ihr Vater war gütig und tolerant, ihre Mutter jedoch war etwas strenger, wenn es um die Frage ging, wie eine Prinzessin sich zu benehmen hatte. Doch heute war Mutter schließlich nicht da, nicht wahr? Heute konnte Arabella tun und lassen, was sie wollte. Heute würde sie ihre Frau stehen in der Stadt, die niemals schläft, einer Stadt, von der sie immer geträumt hatte, so weit wie möglich entfernt von den wachsamen Augen ihrer Eltern.
Naja, ihre eigene Frau, solange ihr königlicher Wachhund – Schrägstrich – Bodyguard bei ihren Plänen mitmachte. Besser als nichts.
Arabella trat einen Schritt von Royce zurück und begutachtete ihre Arbeit. „Perfekt. Jetzt brauchst du nur noch einen Jumbofinger…“
„Bei allem Respekt, Eure Hoheit, das hört sich gar nicht–“
„Hier.“ Sie griff hinter sich nach einer riesigen roten Schaumstoffhand, wie sie bei so vielen American Footballspielen zum Einsatz kam, und schob sie ihm auf die Hand. „So, jetzt bist du die Nummer 1.“
Royce starrte sie mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Verärgerung an. „Dürfte ich mich nochmals erkundigen, warum wir nicht bei Mr. York in dessen Privatloge sitzen werden? Dort wäre es für Sie eindeutig komfortabler, Eure Hoheit.“
„Ich möchte aber keinen Komfort, Royce. Ich möchte glücklich sein.“
Resigniert seufzte Royce.
Zufällig traf es sich, dass Jacques York, einem Freund der Familie und ebenfalls aus Salasia stammend, die New York Knights gehörten. Außerdem war er an einigen Wohltätigkeitsorganisationen der königlichen Familie von Salasia beteiligt, und das war der Grund, weswegen Arabella überhaupt in New York war. Die Tickets für das Spiel hatten sie von ihm bekommen, doch bei ihm in der Loge zu sitzen hatte sie unter dem Vorwand abgelehnt, das Spiel hautnah erleben zu wollen – nicht wie eine Prinzessin, sondern wie eine normale Zuschauerin.
„Royce, schau doch mal, ich möchte einfach ein Footballspiel wie jeder andere auch erleben“, meinte sie. „Zusammen mit dem Besitzer der New York Knights Martinis in einer klimatisierten Loge zu schlürfen, wäre da etwas kontraproduktiv, oder?“
Royce seufzte. „Da haben Sie wohl Recht, gnädige Frau.“
Sie trat vor den Spiegel – einem von vielen in dieser großzügigen Hotelsuite – um zu überprüfen, dass ihre eigene Bemalung saß, und dass ihre langen, dunklen Haare zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden waren. Sonst trug sie immer einen Anzug zu öffentlichen Anlässen, doch heute waren es Jeans-Shorts und ein enges rotes Top, auf dem NEW YORK KNIGHTS, so sehr es sie auch schmerzte, über ihre Brust geschrieben stand.
Wenn Mutter mich jetzt so sehen könnte, dachte sie.
Nach ein paar weiteren, perfektionierenden Handgriffen hier und da fuhren sie in ihrer gemieteten Limo, komplett mit privatem Chauffeur, der allein auf ihre Bedürfnisse abgestellt war und ihr versicherte, er stehe ihr rund um die Uhr zur Verfügung, zum Knights’ Stadion. Immer das Gleiche, immer und immer das Gleiche. Arabella ertappte sich dabei, wie sie sehnsüchtig aus den getönten Scheiben starrte. Ganz normale New Yorker bevölkerten die Bürgersteige, mit ihren Handys in der einen und einem Kaffeebecher in der anderen Hand. Was für ein Gefühl das wohl war, einfach aus einer New Yorker Wohnung, – nein, einem Apartment – zu kommen und einfach zu gehen, wohin man gerade wollte?
Ein Segen, dachte sie. Ein wahrer Segen.
Ihr war klar, dass die meisten dachten, es müsste ein Segen sein, in Reichtum aufzuwachsen, die besten Schulen besuchen zu können und um die Welt zu reisen, doch wie sollte das gut sein, wenn man ständig überwacht wurde? Wenn man unentwegt darauf achten musste, was man sagte, was man tat, was man kaufte, und das rund um die Uhr? Wenn man nur geschäftlich verreiste oder aus Wohltätigkeitsgründen, wenn man immer von unzähligen Menschen umgeben war und sich nie gehen lassen konnte?
Die einfachen Menschen wussten gar nicht, wie gut sie es hatten.
„Das Knights Stadion“, verkündete der Fahrer, während die Limo sich an einer sich windenden Autoschlange vorbeischob. Menschentrauben wanderten zum Stadion.
„Lassen Sie uns bitte am Privateingang raus“, bat Royce den Fahrer und warf einen mulmigen Blick auf die Zuschauermassen, die ihrerseits versuchten, einen Blick in die Limousine hinein zu erhaschen.
„Nein, ich möchte hier aussteigen“, sagte Arabella und hüpfte aufgeregt auf ihrem Sitz.
„Eure Hoheit, in diesen Menschenmassen ist es für Sie nicht sicher.“
„Royce, du bist ein Spielverderber“, sagte Arabella, legte die Hand an den Türgriff, und noch bevor Royce protestieren konnte, war sie schon in die kühle Septemberluft ausgestiegen. Die New Yorker starrten sie alle an und versuchten herauszubekommen, wer sie wohl war.
Royce krabbelte nach ihr aus der Limo. „Eure Hoheit, wenn Sie schon so leichtsinnig sind, dann sollten Sie wenigstens in meiner Nähe bleiben und auf mich hören. Ihre Mutter hat Ihnen nur unter der Bedingung gestattet, nach New York zu reisen, dass ich rund um die Uhr in Ihrer Nähe bleibe. Es gefällt ihr schon nicht, dass Sie überhaupt ein Footballspiel besuchen, ganz zu schweigen davon, dass Sie sich unter das gemeine Volk mischen.“
„Ich weiß, ich weiß.“ Sie winkte seine Bedenken ab und führte ihn durch die vereinzelten Grüppchen in einen Bereich, der dichter gedrängt war und wo sich eifrige Besucher in der Nähe des Eingangs versammelt hatten. „Ich möchte aber dieses Ereignis wie jeder andere Footballfan erleben.“ Sie blieb abrupt stehen und wirbelte herum. „Und wenn irgendwer fragt, dann bist du mein Bruder. Versuch wenigstens heute mal so zu tun, als wärst du ein ganz normaler Mensch. Bitte, Royce. Für mich?“ Sie zeigte ihm ihren besten Girlie-Schmollmund.
Über seinem sturen Gesicht zog er die Brauen zusammen. Royce sah für einen Mann mittleren Alters ziemlich gut aus. Würde er nur öfter lachen, dann hätte er vielleicht nicht solch tiefe Falten auf der Stirn gehabt.
Nachdem sie für beide Bier, Hot Dogs und Nachos gekauft hatten, fanden Royce und Arabella ihre Plätze auf der Tribüne. Arabella saß neben einem pickligen blonden Teenager mit Zahnspange. Sie lächelte ihn an. „Hallo.“ Als sie ihm in die Augen schaute, wandte er schüchtern den Blick ab, woraufhin sie nur noch mehr lächelte.
„Was ist denn so komisch?“ Royce, der gerade den klebrigen Käse auf den Nachos begutachtete, sah auf.
„Nichts Wichtiges.“ Sie knuffte ihn in die Seite, wie sie es bei ihrem älteren Bruder Louis gemacht hätte. „Nun mach dich mal ein wenig lockerer, Royce. Es wird schon alles gut werden. Vielleicht wird es dir heute Abend sogar ein wenig Spaß machen.“
„Nein, gnädige Frau, Sie sind hier, um sich zu amüsieren. Ich arbeite.“
„Wie du willst, Spaßbremse.“
Plötzlich kam Leben ins Stadion, als die Knights aufs Spielfeld liefen. Arabella winkte mit ihrem roten Jumbofinger und tat so, als wäre sie ein Fan, obwohl die Bootleggers in ihrem Herzen saßen. Sie hatte sich vorgenommen, sich anzupassen, und sie würde sich anpassen. Und doch, als die Savannah Bootleggers dann das Spielfeld betraten, mit ihren leuchtenden Trikots, deren Blau so stark mit dem Rot und dem Grün auf dem Spielfeld kontrastierte, sprang sie auf und jubelte auch ihnen zu, was ihr ein paar irritierte Blicke von dem pickligen Jungen einbrachte.
„Man muss doch alle Spieler mögen, oder?“, fragte sie den Jungen.
Wieder sah er in eine andere Richtung.
Ihre Augen tasteten den Spielfeldrand ab. Auch wenn er heute Abend nicht spielen würde, wäre Kyle Young sicherlich hier – in Fleisch und Blut – um sein Team anzufeuern, und sie konnte es kaum abwarten, ihn in echt zu sehen.
Als das Team sich mit seinen Kommandos auf das Spiel vorbereitete, nippte Arabella an ihrem Bier und ließ die gesamte Atmosphäre auf sich wirken. Das Bier schmeckte zwar wie fauliges Wasser – nicht, dass sie schon einmal fauliges Wasser getrunken hätte – doch nichts konnte ihr diesen Augenblick verderben. Die jubelnde Menge, der Hauch von Herbst, der in der Luft lag, die Spannung, die durch das Stadion schwirrte … es war alles – wunderschön.
Sie schloss die Augen, um sich ganz auf die Geräusche und Gerüche zu konzentrieren.
Und als sie sie wieder öffnete, entdeckte sie ihn. Da unten, in Mannschaftstrikot und Jeans, winkte der Quarterback der Bootleggers, Kyle Young, der Menge vom Seitenrand aus zu. Wie die Trainer trug auch er Kopfhörer, um mit Murphy kommunizieren zu können.
Da ist er… Selbst von dieser Entfernung aus bewunderte sie seine Statur, seinen starken Körper, seine beeindruckende Präsenz… Seufz.
„Eure Hoheit, haben Sie gehört, was ich gesagt habe?“
„Bitte?“ Arabella wandte sich Royce zu. „Entschuldige, das hatte ich gerade nicht auf dem Radar.“
„Und das ist nicht das einzige, das Sie nicht auf dem Radar haben.“ Er deutete auf den Käse, der von den Nachos auf ihr Bein tropfte.
„Oh nein!“ Schnell griff sie nach einer Serviette und rieb an dem warmen Flecken auf ihrem Schenkel.
„Schreckliches Zeug“, murmelte Royce.
„Eigentlich ist es nicht so schlimm, wie ich gedacht hatte.“ Sie biss in einen mit geschmolzenem Käse überzogenen Nacho. „Nun, Royce, warst du schon jemals bei einem Footballspiel?“ Sie hatte selten Gelegenheit, mit ihrem Bodyguard zu sprechen, und jetzt, wo sie unter sich waren, würde sie versuchen, seine Einsilbigkeit zu durchbrechen. „Einem American Football Spiel?“
Er sah sie an, die rote Farbe in seinem Gesicht warf Falten auf der Stirn. „Nein, ich bin zum ersten Mal in Amerika, Eure Hoheit.“
„Nenn mich doch bitte nicht so.“ Arabella ließ die Schultern hängen. „Nenn mich doch bitte Arabella, oder Schwesterchen–“
„Eure Hoheit–“
„Bitte“, sagte sie nun fester, mit einem durchtriebenen Lächeln auf den Lippen. „Sonst verwandle ich mich nämlich in deinen schlimmsten Alptraum und schreie nach Aufmerksamkeit mit allem, was meine Lungen so hergeben. Möchtest du, dass ich hier einen Wutanfall bekomme, Royce?“
„Na schön.“ Er schien noch mit sich zu ringen, doch dann nickte er. Er presste ihren Namen hervor: „Ara … bella“, als verursachte ihm das Schmerzen.
Sie lachte herzhaft. „Na siehst du. Also, wie sieht es jetzt aus mit Sport? Hast du als Kind irgendwas gemacht? Fußball? Basketball? Cricket?“
Er dachte einen Moment nach, bevor er antwortete: „Rugby, gnädige Frau, kurze Zeit, in der Schule.“
„Ah ja, das sieht man.“ Royce hatte breite Schultern und eine breite Brust, die typische Statur eines Rugbyspielers. Sie wartete, dass er fortfuhr, doch wenn man versuchte, Royce zum Reden zu bringen, bekam man lange Zähne. „Und, hat es dir gefallen? Oder hast du es gehasst? Hast du gar nichts dabei empfunden?“
„Es war in Ordnung.“
In Ordnung. Natürlich war es in Ordnung. Arabella wandte den Blick ab. So viel zum Thema, wir versuchen, eine freundliche Unterhaltung mit unseren Angestellten zu führen. Warum konnte Mutter nicht einen gesprächigen Bodyguard engagieren? Warum konnte Freundlichkeit der Prinzessin gegenüber nicht eine Einstellungsvoraussetzung für königliche Bedienstete sein? Dann würde sie im Kopf nicht ständig Selbstgespräche führen.
Als die Münze geworfen wurde, gewannen die Knights, und das Spiel begann, als der Schiedsrichter die Pfeife ertönen ließ. Früh im ersten Quarter schon erzielten die Knights einen Touchdown, und alle drehten durch. Die Jubelschreie gefielen ihr, das Händeklatschen, die Kameradschaft unter den Fans.
„Nun komm schon, Murphy“, murmelte sie, ihre Augen sprangen zwischen dem neuen Quarterback und Kyle Young, der nervös am Spielfeldrand auf und ab ging, hin und her. Sie beobachtete, wie die Bootleggers auf die 20-Yard-Linie vordrangen. Es war das vierte Down, Murphy schoss zurück und wagte einen Hail Mary-Wurf aus weiter Entfernung. „Mach schon, mach schon …“
Der Widereceiver der Bootleggers griff nach oben, um den Pass zu fangen, und taumelte in die Endzone.
„JA!“, kreischte sie, und Freude erfüllte ihr Herz. Score! Zumindest konnte es keine Zu-Null-Niederlage mehr werden. Plötzlich bemerkte Arabella die Stille um sie herum. War sie wirklich gerade von ihrem Platz aufgesprungen und hatte der gegnerischen Mannschaft zugejubelt? Ausgerechnet von New Yorkern umgeben? „Hi, hi …“ Sie lächelte schwach. „Ich bin so dumm, ich verstehe wirklich nichts von Football.“
Als sie ihre missmutigen Gespräche wieder aufnahmen, hatte die Menge ihr verziehen, und sie sahen weiter dem Spiel zu, während Royce den Kopf schüttelte. „Es gelingt Ihnen ja großartig, keine Aufmerksamkeit zu erregen, Eure Hoheit.“
„Ach, hör schon auf, das hätte doch jedem passieren können“, sagte Arabella. In Wirklichkeit wusste sie eine Menge über Football. Eine Menge mehr als irgendwer sonst in ihrer Familie, sogar in ganz Salasia, würde sie behaupten. Und jetzt konnte sie sagen, dass sie persönlich bei einem Bootleggers Spiel dabei gewesen war, und sogar, als die einen Punkt gegen die New York Knights gemacht hatten! Auch wenn nicht ihr Lieblingsspieler für den Touchdown gesorgt hatte, aber sie war ja schließlich der Mannschaft gegenüber loyal.
Gegen Ende des zweiten Viertels gewannen die Bootleggers drei weitere Punkte mit einem Feldtor, also stand es nun 14 zu 10. Der Buzzer ertönte, und es war Halbzeit. Viele Fans standen auf, um sich die Beine zu vertreten und zur Toilette zu gehen.
„War das nicht aufregend?“, fragte Arabella Royce. „Ich wünschte so sehr, Kyle Young würde spielen, aber es ist auch wunderbar, dass Murphy jetzt mal zeigen kann, was er draufhat.“
„Ja, wunderbar, Euer – Arabella. Und ziemlich aufregend.“ Er klatschte geziert mit den Fingern auf die andere Hand, weil er das Spiel kein bisschen ernst nahm, und sie verdrehte die Augen.
Als der Bierverkäufer vorbeikam, hielt Arabella ihn auf und kaufte noch ein großes, wippendes Getränk. „Hier, Royce, trink was. Du siehst ganz ausgetrocknet aus.“ Sie reichte ihm den mit der goldenen Flüssigkeit gefüllten Plastikbecher, und obwohl es aussah, als wollte er zunächst ablehnen, nahm er ihn kommentarlos. Zu ihrer großen Überraschung trank er ihn mit wenigen Schlucken auf ex, und ihre Augen weiteten sich amüsiert.
„Welch köstliches Getränk“, bemerkte er. „Wie heißt es doch gleich?“
Sie kräuselte die Lippen. „Bud Light.“
„Bud Light“, wiederholte er, als wäre es der feinste Chardonnay. Royce’ Gesichtsausdruck wirkte schon etwas entspannter, und Arabella fragte sich, ob er überhaupt schon einmal Bier getrunken hatte. Ganz klar war er nicht sehr trinkfest, wie es so schön heißt, denn seine Schultern entspannten sich, nachdem er das alkoholische Getränk zu sich genommen hatte, und dieser ständig grimmige Gesichtsausdruck verschwand.
„Weißt du was?“ Arabella stand auf und streckte sich, was ihr die Bewunderung der um sie herumsitzenden Männer einbrachte. „Ich möchte mir ein paar Souvenirs kaufen. Und vielleicht noch ein paar Bud Lights?“ Sie zwinkerte Royce zu.
„Ganz wie Sie wünschen, gnädige Frau.“ Royce erhob sich schwankend und folgte Arabella aus der Reihe hinaus. Er war kein fürchterlicher Bodyguard – da hatte sie schon schlimmere gehabt – doch es hätte Royce sicherlich nicht geschadet, ihr mal ein oder zwei Lächeln zu schenken. Wenn sie Glück hatte, würden sie sich in der Menge vielleicht aus den Augen verlieren, und dann wäre sie wirklich mal allein.
Sie kamen am Kiosk an, in dem ein gelangweilter Angestellter sie bediente. Arabella sah sich die leuchtend roten Knights-Dinge an – T-Shirts, Wimpel, Wackelkopffiguren, Sammelkarten und Wasserflaschen – sie fragte sich, ob sie Royce dazu bringen könnte, von jeder Sorte eins zur Limo zu bringen. So sehr sie sich auch wünschte, das hier wäre ein Heimspiel der Bootleggers, Hauptsache, es waren NFL-Produkte, selbst wenn sie von den New York Knights waren.
Sie nahm ein T-Shirt mit einem glitzernden KNIGHTS-Logo auf der Brust und hielt es sich an, um zu schauen, wie es ihr stand. Sie warf einen Blick in einen winzigen Spiegel, der am Souvenirstand angebracht war. „Wie gefällt dir das, Royce? Würde mir das stehen?“
„Ihre Mutter würde mich auf der Stelle feuern.“
Sie lachte und wollte es gerade schon wieder zurück auf das Regal legen, als sie eine Stimme hinter sich hörte. „Rot ist nicht wirklich Ihre Farbe. Um ehrlich zu sein, müsste es ein strahlendes Blau sein.“
Arabella wirbelte herum, um zu sehen, wer da so anmaßend sein konnte, ihr zu sagen, was ihr stand und was nicht. Sie wollte den ungezogenen Fremden gerade schon zusammenstauchen, als sie das gutaussehende Gesicht unter der Baseballkappe erkannte, die sehr tief ins Gesicht gezogen war. Es war niemand anderer als Kyle Young, der sich an einen Pfosten lehnte. Selbst in Straßenkleidung sah er übernatürlich und legendär aus.
„Ist das so?“ Sie zwang sich zu atmen. Arabella war sich sicher sehen zu können, wie seine Muskeln sich unter seinem Hemd abzeichneten. Er strahlte pure Männlichkeit aus, von seinem starken Kinn bis hin zu seinen muskulösen Beinen – guter Gott, ihre Gedanken drifteten an Stellen, zu denen sie besser nicht sollten.
„Eindeutig. Rot ist eine aggressive Farbe. Blau ist himmlischer … kühl … erhaben.“ Seine Augen blitzten bewundernd auf, als sein Blick über ihren Körper wanderte, vom Kopf bis zu den Zehen. „Aber ich schätze, Sie sind kein Bootleggers Fan, dann ist es wohl egal. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“ Er wollte gerade zum Getränkestand gehen, als irgend etwas Arabella dazu brachte, ihm nachzugehen.
„Euer Hoh–, ähm, Arabella? Bleib bitte hier“, forderte Royce sie auf.
Sie achtete gar nicht auf ihn Das hier ist Kyle Young! Den lässt du nicht einfach so weggehen… „Nein, warten Sie. Eigentlich bin ich ein Bootleggers Fan. Ich schwöre es Ihnen.“
„Also, also, … Sie müssen gar nichts schwören, und, ganz ehrlich, Süße, Sie müssen mir nichts vormachen. Schließlich ist das hier Ihre Heimmannschaft.“ Kyle Young warf Royce einen raschen Blick zu, als gefiele es ihm gar nicht, dass noch jemand dabei war.
Süße? Das war wahrscheinlich nicht so emotional gemeint gewesen, wie es sich angehört hatte. Aber warum fing er eine Unterhaltung mit ihr an und ging dann einfach weg, wenn sie ihm nicht aufgefallen war? Sie eilte ihm hinterher. „Das stimmt nicht. Also, ich bin nicht aus New York. Ich musste diese Farben tragen…“ Gott, sie hörte sich dämlich an, wie sie sich so verteidigte.
„Arabella? Wir müssen jetzt zu unseren Plätzen zurück“, ermahnte sie Royce.
„Nur eine Minute …“ Sie konnte Royce nicht sagen, wer dieser Mann war, ohne ihm zu zeigen, dass sie ihn erkannt hatte, und die Genugtuung wollte sie ihm nicht geben, ganz egal, wie süß er auch war.
Kyle Young – der Kyle Young – blieb an einem Mülleimer stehen, um einen leeren Getränkebecher wegzuwerfen, dann drehte er sich um, um sie anzusehen, doch hatte stattdessen Royce’ ernsten Gesichtsausdruck direkt vor der Nase. Er seufzte und ging um Royce herum. „Nun gut … Sie sagen mir … eine gutaussehende junge Frau – nicht aus New York – trägt aus Versehen die Farben der Knights, obwohl sie ein Bootleggers Fan ist?“ Er lachte darüber und stemmte die Hände in die Hüften. „Liebes, Sie müssen jetzt nicht die Groupie-Seiten wechseln, bloß weil Sie mich getroffen haben. Immer schön loyal sein!“ Er tippte ihr auf die Nase und ging davon.
„Wie bitte?“ Der hatte ja Nerven! Dachte er wirklich, sie wäre zu ihm „übergelaufen“, weil sie ihn erkannt hatte? Ja, er war schon verdammt umwerfend mit seinen blauen Augen, den Grübchen in seinen Wangen und seinen Bartstoppeln, doch er sollte sich bloß hüten, so etwas von ihr zu denken. „Zu Ihrer Information, ich bin kein Groupie“, versicherte sie ihm. „Ich bin ein Fan, inkognito.“
„Uhhh, inkognito …“ Er tat so, als versteckte er sich vor verdächtigen Verfolgern. „Sind Sie vielleicht berühmt, oder so? Denn das würde auch erklären, warum Sie diesen Wachhund immer bei sich haben.“ Er warf Royce einen genervten Blick zu.
Sie zögerte. Sie durfte niemandem sagen, wer sie war. Das verstieß zu sehr gegen das Protokoll, und ihre Mutter würde auf der Stelle nach ihr schicken. „Ich habe meine Gründe. „Warum – warum sind Sie überhaupt hier? Sollten Sie nicht in der Umkleide sein und Ihr Team anheizen? Murphy hat Sie ziemlich gut vertreten, meinen Sie nicht?“
„Ja, macht er ganz gut. Ich wollte mir ein paar Nachos holen, wenn Sie es unbedingt wissen müssen. Ich mache das lieber selbst. Wenn ich unseren Assistenten losschicke, welche zu holen, bekomme ich nie genug Jalapeños. Und Möhren knabbern mag ich nicht mehr.“ Wieder wanderten seine Augen über ihren Körper. „Aber ich bin mir sicher, dass Sie sich ausschließlich gesund ernähren.“
Etwas Verschlagenes huschte in ihr Lächeln. Jetzt hatte sie es begriffen – dieses ganze Weglaufen. Er flirtete mit ihr. Kyle Young baggerte sie an. Arabella schnalzte leise mit der Zunge, ohne den Blick von ihm abzuwenden. „Royce, Bruderherz? Wärst du so lieb, uns ein paar Getränke zu holen?“
„Eure Hoh– ähm, Arabella. Lass sie uns lieber zusammen holen. Ich weiß nicht, was du möchtest.“
„Ich möchte ein Bud Light. Und jetzt geh schon.“ Sie lächelte Kyle an, dessen Grübchen sich vertieften.
Ihr Bodyguard zögerte, doch als sie ihm einen schnellen, messerscharfen Blick zuwarf, gab er kommentarlos nach. „Ich bin gleich wieder da. Beweg dich nicht vom Fleck.“
Young beobachtete ihn neugierig, als er davonstapfte. Dann pfiff er. „Meine Güte! Wer war das? Ihr Bodyguard? Der Typ hat wohl ’ne Meise?“
Arabella erstarrte für einen Moment. So viel zum Thema normal wirken. Er konnte einfach in sie hineinsehen. Dann merkte sie, dass er bloß einen Spaß machte. „Ach, mein Bruder … man könnte sagen, er ist etwas hyperprotektiv. Naja, und er macht sich nicht viel aus Football.“
„Und Sie? Machen Sie sich viel aus Football?“ Er lachte, als wäre die Vorstellung schon lachhaft.
„Ziemlich.“ Sie nickte. „Immerhin habe ich Sie erkannt, oder etwa nicht? Warum sonst wohl wäre ich Ihnen zum Nachostand gefolgt?“
„Verstehe, also sprechen Sie bloß mit mir, weil ich berühmt bin.“
„Nein, ich spreche mit Ihnen, weil Sie mir nicht geglaubt haben.“
„Was geglaubt?“
„Dass ich ein Bootleggers Fan bin. Ich trage Rot, weil ich muss.“ Sie seufzte. „Das ist eine lange Geschichte.“
„Ich mag lange Geschichten. Vielleicht können Sie sie mir nach dem Spiel erzählen.“ Er lächelte, biss sich auf die Lippe, dann drehte er sich um, um beim Imbissverkäufer Nachos zu bestellen. Hatte er sie gerade zu einer Verabredung nach dem Spiel eingeladen?
Arabella nutzte die Gelegenheit, um ihn von oben bis unten zu betrachten. Sehr weit unten. Seine Jeans passte ihm wunderbar. Sie musste sich die umwerfenden Dinge vorstellen, die sich darin verbargen. „Sie halten mich für ein Football-Groupie, das bin ich aber nicht. Ich habe, schon bevor Sie zu dem Team dazugestoßen sind, Bootleggers Spiele gesehen.“
Er hob seine Brauen. „Wirklich? Aber Sie sind doch keine Amerikanerin, das höre ich. Woher kommen Sie – aus England?“
Ihr Akzent ging tatsächlich in Richtung britisches Englisch, doch im Moment wünschte sie sich, sie könnte amerikanisch sprechen, wie ein normales Mädchen aus New York – oder Georgia. „Ich komme aus Salasia, das ist ein kleines Fürstentum in Europa.“
„Ich weiß, wo das liegt.“ Als sie ihre Brauen hob, lachte er. „Sie dachten wohl, ein dümmlicher Footballspieler hätte noch nie davon gehört, was?“
Sie wurde rot und sah weg. Sie hatte tatsächlich vermutet, dass er Salasia nicht kennen würde, doch nur, weil die meisten Nichteuropäer nicht wussten, dass Salasia überhaupt existierte. Verdammt, sie war sich nicht einmal sicher, dass jeder Europäer wusste, dass es existierte. „Ich halte Sie ganz und gar nicht für dümmlich, Mr. Young.“
Er lachte und griff nach der Schale mit den Jalapeños. „Danke“, sagte er zu dem Verkäufer, griff hinein und häufte sie sich auf seine Nachos. Zu Arabella meinte er: „Sie sollten sich jetzt nicht schlecht fühlen, Herzogin. Sie sind zu hübsch, um sich Sorgen zu machen.“
„Ich bin aber nicht bloß hübsch, Mr. Young“, sagte sie mit so viel Selbstbewusstsein, wie sie aufbringen konnte, obwohl sie sich am liebsten gekniffen hätte, um sicher zu gehen, dass sie das alles nicht bloß träumte. Sie sprach nicht einfach mit Kyle Young … er hatte mit ihr geflirtet und sie als hübsch bezeichnet!
„Nennen Sie mich Kyle.“
„Kyle“, sagte sie, um auszuprobieren, wie sich das anfühlte. Ihr Herz vibrierte bei dem Klang. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie diesen surrealen Moment genommen und für immer festgehalten. „Ich weiß, Sie denken, Sie sehen nur ein Groupie vor sich“, neckte sie ihn. Dieses Spiel konnte sie auch … „Doch ich habe mich genau mit der Abwehr und dem Angriff der Bootleggers beschäftigt. Ich weiß, Sie sind einer der fünf Topspieler der NFL MVP. Ich weiß, dass dreihundertsiebenundfünfzig von fünfhundert versuchten Pässen erfolgreich waren. Und ich weiß außerdem, dass Sie dazu neigen, über weite Distanzen zu werfen, wenn die Spielzeit knapp wird.“
„Das nennt man–“
„Einen Hail Mary-Pass“, unterbrach sie ihn. „Ich weiß, wie man das nennt. Offensichtlich haben Sie Mr. Murphy gegen Ende des zweiten Quarters empfohlen, ihn einzusetzen.“ Sie lächelte. Touché. Das würde ihn eines Besseren belehren als in ihr nur ein hübsches Gesicht zu sehen. „Gut für Sie. Und die Bootleggers.“
Seine Brauen schossen bei ihrem Zitat in die Höhe. Er drehte sich zu ihr um, seine Nachos waren vergessen, und ihr Herz klopfte. Krampfhaft versuchte sie, ihre Atmung zu kontrollieren, während er sich zu ihr hinabbeugte und in ihr Ohr flüsterte: „Herzogin, ich liebe es, wenn Sie über Football sprechen.“ Sein Atem war leicht und warm und ließ Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzen. „Ich liebe Ihren Akzent. Sie könnten Statistiken vortragen, und ich wäre fasziniert.“
Sein Blick jedoch verriet mehr als seine Worte. Ich kann mir hundert andere Dinge vorstellen, die ich Sie gerne sagen hören würde. Und schreien. Schon allein meinen Namen, wenn ich ganz tief in Ihnen bin, schien er ihr leise zu sagen.
Ihr Herz schlug wie wild.
„Ich heiße Bella“, sagte sie plötzlich, ein Name, den sie niemals benutzte. Doch jetzt war sie auch nicht ganz sie selbst. Gerade war sie eine viel mutigere Version ihrer selbst, eine Frau, die sonst nicht so offensiv flirten würde. Der Name passte zu ihr.
„Bella. Das ist ein wirklich hübscher Name. Ein hübscher Name für eine wunderschöne Frau.“
Sie konnte kaum glauben, was hier gerade geschah – Kyle Young, der Star-Quarterback der Bootleggers – fühlte sich zu ihr hingezogen. Sie hatte schon einige Verehrer gehabt, doch Männer flirteten nicht mit Prinzessinnen. Sie machten ihnen den Hof. Sie behandelten sie wie Porzellanpuppen. Sie hatte so wenige Dates gehabt, dass sie bislang nur einmal mit einem Mann geschlafen hatte, und das war so lustlos gewesen, dass sie schon Angst gehabt hatte, dass etwas mit ihr nicht stimmt, als wäre sie kaputt oder so.
Doch in Kyles Nähe, als ihr Atem sich beschleunigte und sie spürte, wie ihr Körper überall kribbelte, wusste sie, dass sie verloren war. Sie wollte mehr von diesem Flirten; sie wollte ihn berühren und wollte, dass er sie berührte, und ganz egal wie dieser Tag enden würde, er war schon gelungen, denn sie hatte diesen einen Moment mit Kyle Young gehabt.
„Young! Da bist du ja!“ Eine Frau mit langweiligen blonden Stirnfransen und einer Brille stiefelte auf sie zu. „Du musst zurück nach unten. Der Coach sucht dich schon.“
Kyle sah die Frau an, dann sah er zurück zu Arabella. Noch einmal beugte er sich vor, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. „Komm nach dem Spiel zu mir. Raum 586, den Flur gegenüber dem Eisstand hinunter. Dann kannst du mir weiter … von diesen Statistiken berichten.“ Mit einem letzten Zwinkern und einem teuflischen Lächeln folgte er der Frau mit seinem Nachoteller und verschwand.
Arabella musste einmal tief durchatmen und hielt sich am Stand fest. „Verdammter Mist! Was ist da bloß gerade passiert?“, murmelte sie zu sich selbst.
Die Imbissbudenverkäuferin lachte. „Der ist ganz schön süß, was?“
Royce kam zurück und reichte ihr ihr Bier, sein Gesicht war gerötet. „Ich habe noch eins getrunken“, sagte er, er lallte etwas. „Ich muss schon sagen, die schmecken köstlich. Denken Sie, wir können die auch in Salasia bestellen?“
„Ich bin mir sicher, dass ich welche für dich besorgen kann.“ Sie lächelte. Wenn sie ihn damit beschäftigen konnte, würde sie ihm wöchentlich einen ganzen Kasten bestellen!
Arabella führte ihn zur Tribüne zurück und lächelte wegen ihrer Begegnung mit Kyle Young. Sie lächelte, weil er sie in den „Backstagebereich“ nach dem Spiel eingeladen hatte, und sie lächelte, weil Royce sich gerade um seinen Verstand trank. Als er loslegte, über seine Zeit als Rugbyspieler zu erzählen, hörte sie nur mit halbem Ohr zu, denn ihre Gedanken waren ganz woanders, verloren zwischen der Wirklichkeit und dem Land der Träume, obwohl es so aussah, als würden diese beiden Welten in naher Zukunft kollidieren.
Komm zu mir, Raum 586. Sollte sie es wagen? Was wollte er? Wollte er wirklich über Statistiken mit ihr sprechen oder … sie küssen? Mit ihr schlafen? Bei dem Gedanken daran erbebte Arabella. Was auch immer Kyle Young wollte, Arabella – ähm, Bella – konnte kaum abwarten, es herauszufinden.