Stark wei Rock’n’Roll Auszug – Virna DePaul

Stark wei Rock’n’Roll Auszug

Abby

 

Als Dr. Bronsky mir im Dezember mein Master of Music Diplom von Juilliard in die Hand drückte und sagte: „Sie und Ihr Cello werden es weit bringen, Miss Chan“, war ich mir ziemlich sicher, dass er damit nicht meinte, dass ich eine Rockband auf ihrer Welttournee durch Nordamerika begleiten würde. Es versteht sich, dass das auch nicht ganz dem entsprach, was ich mir vorgestellt hatte. Ich hatte gehofft, zwischenzeitlich schon für die New Yorker Philharmoniker zu spielen, mich langsam zur Solo-Cellistin hochzuarbeiten und wie ein Diamant unter den Streichern zu glänzen, so wie ich es mir mein ganzes dreiundzwanzigjähriges Leben lang vorgestellt hatte – bis jetzt.

Doch ein Cellist kann nicht nur von Brot und Wasser leben.

Als mir dann meine gute Freundin, Violinistin Rosemary Bourré, erzählte, dass Point Break, die Rockband auf dem Cover der jüngsten Ausgabe des Rolling Stone Magazin (vier Typen übersät mit Tattoos und Piercings – wie außergewöhnlich!), nach einer Cellistin für ihre Tour suchte, um die zu ersetzen, die letzte Woche das Handtuch geworfen hatte, zwang ich mich, ihr zumindest mal zuzuhören. Rose hatte bereits vor Monaten als Violinistin vorgespielt und den Job bekommen.

„Komm mit, Abby!“, hatte sie gesagt. „Das wird ein Riesenspaß!“

Laut Rose müsste ich nur bei zwei Liebesballaden im Hintergrund spielen, von April bis Juli in einem Bus schlafen und mich dafür bezahlen lassen. Ende des Sommers würde ich nach New York zurückkehren und hoffentlich genug Geld haben, um einen Teil meiner Studentendarlehen abzubezahlen und eine Anzahlung auf mein erstes Apartment auf der Upper West Side zu machen. Ich könnte bei den Philharmonikern vorspielen, meine Mutter stolz machen, einen berühmten Dirigenten heiraten und den Rest meines Lebens in perfekter Harmonie verbringen.

Hey, ein Mädchen darf doch wohl Träume haben.

Als ich sie angerufen hatte, um ihr zu sagen, dass ich nicht einmal hatte vorspielen müssen – der Manager hatte mich, dank Dr. Bronskys Empfehlung, vom Fleck weg noch am Telefon engagiert – hatte Rosemary gejubelt und wäre fast durchs Telefon gehüpft, um mich zu umarmen. „Ich bin doch total verrückt, dass ich das mache“, dachte ich, und Samuel, mit dem ich seit vier Jahren zusammen war, stimmte mir zu und warnte mich, dass er nicht dafür garantieren könnte, dass er auf mich warten würde, wenn ich diesen Job annähme.

„Wie bitte? Na, wenn das so ist …“, dachte ich und ergriff selbst die Gelegenheit, das zu tun, worauf Samuel mich schon geistig vorbereitet hatte: Ich machte Schluss mit ihm.

Ein Teil von mir hatte gewusst, dass ich das tun musste, und sei es nur, um zu sehen, was die Welt abgesehen von Samuel Bautista noch zu bieten hatte. Ein anderer Teil von mir war erleichtert, dass der Job mich dazu gebracht hatte, eine Beziehung zu beenden, von der ich schon eine ganze Weile gewusst hatte, dass sie nicht mehr funktionierte. Und ein Teil von mir, tja … ein Teil von mir brauchte einfach die achtzehntausend Dollar.

Eine Woche nachdem ich den Vertrag unterschrieben hatte und zwei Tage nachdem ich zum ersten Mal in meinem Leben nach L.A. gekommen war, waren Rosemary und ich bereit zu sehen, was die Welt des Rock ’n’ Roll für uns so auf Lager hatte. Nach ein paar informellen Proben ohne Band schienen die Streicher soweit zu sein. Jetzt stand mir die nächste Hürde bevor – die Feel the Burn Kick-off Party zu überstehen – eine echte Rockstar-Soiree, so weit von Brooklyn entfernt, wie man sich nur vorstellen kann, im schicken südkalifornischen Haus des Bandmanagers, Robbie Levine. Zu Hause in Brooklyn hätte mich nie jemand ein Partygirl genannt. Genaugenommen war meine größte Feier bis dato die „Party“ im Haus von Samuels Eltern gewesen, bei der Rosemary, Jaromir, Kim Lee und ich am Abend nach der Abschlussprüfung für die Streicher im Wohnzimmer der Bautistas saßen, lachten und Wein tranken und darüber sprachen, wie wir alle eines Tages ganz groß rauskommen würden.

Damit hatten wir gemeint, für eines der renommiertesten Orchester der Welt zu spielen und nicht, einen kreischenden Sänger und seine Gitarre zupfenden „Kumpels“ zu begleiten, während sie sich mit Alkoholexzessen und Tête-à-Têtes mit weiblichen Fans vergnügten.

Was dieses Haus anging … Das war eine ganz andere Liga, und um ehrlich zu sein, jagte es mir eine Riesenangst ein. Doch Rosemary neben mir kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. „Wow, Abby. Hast du dir jemals vorgestellt, dass sowas dein erster echter Gig sein würde?“ Strahlend hielt sie eine Bierflasche in der Hand und betrachtete das Partygeschehen um sich herum.

Natürlich hatten wir seit unserem Abschluss gearbeitet, doch war das eher die ein oder andere Hochzeit gewesen. Nichts, was man mit dem hier hätte vergleichen können. „Ich hatte es mir ein wenig … weniger L.A. mäßig vorgestellt.“ Ich meine, wir waren in L.A., darum ergab das nicht wirklich einen Sinn, doch das hier übertraf meine Vorstellungen sogar noch. Ich klammerte mich an meinem Weinglas fest, als könnte es mich davor bewahren, in diesem Meer von Geld und Oberflächlichkeit unterzugehen.

„Abby, wir sind in Beverly Hills. In Beverly fucking Hills!”

„Fucking, Rosemary? Sag das nicht. Es ist so …“

„Rockstar mäßig?“

„Genau.“

Sie kicherte. Ihr Kichern passte zu dieser großen, blonden, dünnen und koketten französischen Schönheit. Neben ihrer anmutigen Schwanengestalt fühlte ich mich wie eine plumpe Ente.

„Die Probe heute Nachmittag ist gut gelaufen, findest du nicht auch?“, fragte sie.

„Sicher. Wenn man von Erfolg sprechen kann, wo die Bandmitglieder gar nicht dabei waren“, sagte ich.

Sie grinste. „Ich denke, die Probe war für alle anderen. Streicher, Beleuchter, Ton Crew …“

„Welcher Musiker hat es nicht nötig zu proben?“, schnaubte ich leise.

Sie beugte sich zu meinem Ohr herüber. „Die von der Sorte, deren Songs alle im Viervierteltakt geschrieben sind. Darum glaube ich, dass die Probe nur für die Neuen war – also für uns.“

„Ah, ja. Bitte erinnere mich nicht daran.“ Ich hätte mich nicht mehr fehl am Platz fühlen können.

In einer Ecke des palastartigen Gartens des Hauses befand sich eine Gruppe von griechischen Göttinnen in weiß-goldenen Bikinis, die einen Mann in roter Hose und schwarzem T-Shirt umschwärmten. Die Mädchen mussten vor ihrem Kommen sogar ihre Frisuren abgestimmt haben, denn sie alle hatten entweder mit hellen Strähnchen durchsetzte Locken oder strenge Pferdeschwänze, die ihre Augenbrauen unnatürlich hochzogen. Auf der anderen Seite der Terrasse stand eine Reihe von Lounge-Sofas, auf denen noch mehr gebräunte Frauen mit glänzenden Beinen um einen anderen Mann versammelt waren. Er trug eine schwarze Hose und ein offenes Hemd. Seine Beine waren gespreizt und beide Arme lagen jeweils um ein paar schlanke, sprüh-gebräunte Schultern. Wow – bei Frauen in L.A. wurde Schönheit wirklich groß geschrieben, doch das hätte mich eigentlich nicht überraschen sollen. Wo ich es jetzt aber direkt vor mir sah, wurde mir das Ganze eigentlich erst richtig bewusst – und ließ mich daran zweifeln, dass der Wein eine gute Idee gewesen war, schlussendlich war ich wahrscheinlich eine der wenigen Frauen auf dieser Party, die nicht Größe XXS trug.

Die Musik aus den Lautsprechern dröhnte, donnerte und wummerte. Eine echte DJane legte Schallplatten auf, drückte sich ihre Kopfhörer an die Ohren und tanzte in einem engen, türkisen Minikleid zu ihrer eigenen honigsüßen Musik.

„Was glaubst du, wie viele Leute hier sind?“ Rosemary betrachtete die Menge.

Ich überschlug schnell, wie viele Gäste auf der Veranda und am Pool waren, und zählte noch geschätzte 50 dazu, die sich im Haus befanden, wahrscheinlich sogar noch mehr, wenn man die Zimmer oben mitzählte. „Mindestens 150, schätze ich.“

„Glaubst du, dass sie das vor jeder Tour machen?“

„Jaromir hat gesagt, dass sie das vor jedem Auftritt machen. Und an allen anderen Abenden auch.“

Rosemary riss die Augen auf. „Im Ernst? Woher will der das denn wissen?“

„Er sagt, dass er ein Point Break Fan ist. Rose, hier geht’s ums große Geld. Es dreht sich alles um publikumswirksame Auftritte, Albumcover, Videos voller Frauen, aufgeblasene Promotion … Echte Musiker interessieren sich nicht für so was. Echte Musiker wollen einfach nur spielen, selbst wenn es in einem leeren Konzertsaal mit drei Katzen als Publikum ist.“ Schon während ich die Worte aussprach, zuckte ich innerlich zusammen. Ich klang wie ein alter Snob – und ein ziemlich verbitterter noch dazu. Echte Musiker sollten andere Musiker nicht schlecht machen. Punkt. Ich wusste das. Und normalerweise tat ich das auch nicht. Doch jetzt … hier … Ich musste zumindest einen Anschein von Selbstvertrauen wahren. Wenn ich dabei ein wenig übertrieb, dann tat ich das ja nur im Beisein von Rosemary, die mir das hoffentlich nicht zum Vorwurf machen würde.

„Das musst du mir nicht zweimal sagen.“ Rosemary trank ihr Bier aus. „Aber es ist trotzdem fantastisch, daran teilhaben zu dürfen. Magst du was essen? Ich gehe mir was holen.“

„Ich brauche nichts, danke.“ Ich war mir nicht sicher, ob irgendetwas fantastisch daran war. In dieser Welt war Musik ein Mittel, um einen verschwenderischen Lebensstil zu finanzieren. In meiner Welt war es der Lebensstil, der die Musik möglich machte. Sich selbst in der Musik zu verlieren war alles, worauf es ankam. Dies war auch der Grund dafür, dass ich besonderen Wert darauf gelegt hatte, mich vor meinem Herkommen nicht von Fotos, Tratsch und all dem Drama um Point Break beeinflussen zu lassen. Ich las nur das, was ich über die Band wissen musste – welche Aufnahmen sie gemacht hatten und ihre Diskographie.

Eben was auf Wikipedia zu finden war – nicht mehr und nicht weniger.

„Ach übrigens, du siehst wirklich scharf aus in dem Kleid.“ Sie zwinkerte mir zu und stakste davon.

„In diesem Kleid?“ Ich fummelte an meiner Perlenkette herum und ließ meinen Blick an mir herunterwandern. Ich trug das einzige Cocktailkleid, das ich besaß: ein schwarzes A-Linien Kleid, das eher nach Manhattan als auf eine Party in Beverly Hills gehörte. „Danke“, sagte ich, war aber wenig überzeugt.

Ehe ich mich versah, war Rosemary verschwunden und hatte mich mit meiner gar nicht sexy Wenigkeit allein gelassen. Ich hätte mit ihr gehen sollen, doch war ich ihr schon den ganzen Abend gefolgt und hatte an ihrem Rockzipfel gehangen, ganz wie ein kleines Mädchen, das sich vor den furchteinflößenden Buben hinter seiner Mama versteckt. Was gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war.

Jetzt, wo Rosemary mich allein gelassen hatte, wünschte ich, ich hätte mir im Vorfeld zumindest mal ein paar Fotos von Point Break angesehen, dann hätte ich jetzt zumindest gewusst, wie sie aussahen. Doch bei all den Predigten meiner Mutter, dem Packen für die Reise und den Streitereien mit Samuel, war mir nicht viel Zeit geblieben. Außerdem musste ich zugeben, dass ich gar nicht hatte nachschauen wollen. Ich hatte mir eingeredet, dass es egal war, wer meine Bosse waren oder wie sie aussahen. Es war egal, ob ich sie mochte oder respektierte. Das hier war nur ein vorübergehender Job, einer, den ich durchstehen musste, um meine eigenen Träume in der Zukunft verwirklichen zu können. Doch langsam fing ich an zu glauben, dass es unprofessionell von mir gewesen war, meine Hausaufgaben nicht zu machen. Ich müsste mich zumindest meinen neuen Bossen vorstellen und mich für den Job bedanken. Das war der Hauptgrund, weswegen ich hier war.

Ich sah mich um und versuchte zu erraten, wer die Bandmitglieder waren, in der Hoffnung, dass niemand die einsame Cellistin bemerken würde, die neben einer Topfpflanze stand. Doch zu meiner großen Bestürzung zog ich damit sogar noch mehr Aufmerksamkeit auf mich, als ich befürchtet hatte.

Ein paar lächelnde Augen nahmen mich vom anderen Ende des Pools genau unter die Lupe. Mit seinen weiten Jeans, der Lederweste über seiner muskulösen nackten Brust, dem Cowboyhut und der großen silbernen Gürtelschnalle sah der Typ wie ein Punk-Cowboy aus, der sich gerade mit einem Lasso ein paar Ladies eingefangen hatte. Er war umringt von … eins, zwei, drei, vier, fünf Mädchen in Bikinis. Bei genauerem Hinsehen musste ich zugeben, dass zwei von ihnen oben ohne waren. Sie spielten mit seinem Hut, lachten und reichten ihn herum. Seinen mit Tätowierungen übersäten rechten Arm hatte er um die Taille eines Mädchens geschlungen, in der anderen Hand hielt er sein Telefon. Er hob es hoch, zielte damit in meine ungefähre Richtung und machte ein Foto, bevor er es wieder in seine Tasche streckte.

Hatte der Typ wirklich gerade ein Foto von mir gemacht, während er von all diesen halbnackten Mädchen umringt war?

Ich schob mir die Haare hinter meine Ohren und fühlte mich unsicherer als je zuvor, während ich wieder an meinen Perlen herumfummelte. Und dadurch wurde er sich natürlich meines Unbehagens sogar noch bewusster, eh klar! Ich wollte mich verstecken, für heute Feierabend machen, in mein Hotelzimmer flüchten und mich unter meiner dicken flauschigen Hilton Hotel Bettdecke verstecken.

Genau in diesem Augenblick kamen zwei laute, unausstehliche Typen an mir vorbei, die einander stockbesoffen stützten. „Oh, ´Tschuldigung“, sagte einer von ihnen. Wenn ich nicht gerade noch rechtzeitig ausgewichen wäre, hätte er mich in den Pool gestoßen. Er hatte einen stoppeligen, kurzen Bart, warme braune Augen und lächelte mich spitzbübisch an.

Aus dem beleuchteten blauen Pool lachte ihnen eine Schar von Bikiniengeln entgegen. „Jacob! Wirf Corbin ins Wasser!“, rief eines der Mädchen.

Corbin! Der Name kam mir bekannt vor. War der niedliche Typ mit dem Stoppelbart etwa Teil der Band? Und was war mit seinem Freund Jacob? Gab es in der Band einen Jacob? Nein, ich war mir ziemlich sicher, dass die Bandmitglieder Liam, Wes, Corbin und … noch ein anderer waren.

„Wir kümmern uns schon um ihn!“, lachte ein anderes Mädchen, während ihre Brüste auf und ab hüpften und sie einen Wasserball in ihren manikürten Händen hielt.

Ich beobachtete die Szene mit gemischten Gefühlen. Einerseits nervte es mich, dass jemand so ausgelassen lachen konnte, so ohne jegliche Scham und voller Selbstvertrauen, während sie nur winzige Stofffetzen und Bändel als Badekleidung trugen. Wer gab ihnen das Recht, so perfekt auszusehen? Andererseits beneidete ich sie auch – nicht nur die Mädchen mit ihren schönen Körpern, sondern auch die Typen und wie es ihnen gelang, die Aufmerksamkeit der Mädchen auf sich zu ziehen und so entspannt zu sein, während sie herumblödelten.

Das Ganze war mir ein Rätsel. Ich würde in einer Million Jahren nicht in diese Gruppendynamik hineinpassen. Doch das musste ich ja auch nicht. Ich war schließlich nur der Geräuschkulisse wegen hier – im wahrsten Sinne des Wortes – ich würde mich im Hintergrund halten, und dies auch nur für ein paar Monate.

Wenn Samuel hier gewesen wäre, hätte er mir gesagt, dass das alles nur betrunkene Clowns seien, Neandertaler eben, die weder Intelligenz noch Klasse hatten. Doch seitdem Rosemary und ich angekommen waren, waren alle, die an dieser Produktion beteiligt waren, unglaublich nett gewesen. Es gab den ganzen Tag ein Buffet, einen Wagen, der auf Abruf bereit stand, wenn wir irgendwohin wollten … Es schien, als ob Geld einen entweder unglaublich dumm oder unglaublich großzügig handeln ließ.

Nachdem sie noch etwas länger am Pool gerauft hatten, stolperten Jacob und Corbin schließlich und fielen mit einem riesigen Platsch in den Pool, was bei den Partybesuchern lauten Jubel auslöste. Die Bikinimädchen schwärmten um sie herum und hingen an ihren Schultern. Der Typ mit dem kurzen Bart fing an, mit einer rumzumachen.

„Klasse!“ Ein Typ mit unglaublich grünen Augen hob neben mir seinen Drink. Um seinen Arm wand sich ein Tribal-Tattoo, das dem des Punk-Cowboys ziemlich ähnlich war. Wie die meisten Männer auf der Party war er attraktiv, aber wenn er sprach, war das kaum zum Anhören. „Ganz mein Ding!“, rief er und krümmte sich vor Lachen. Dann richtete er sich auf und ging an mir vorbei, wobei er meine Seite des Pools genauer unter die Lupe nahm. Plötzlich blieb sein Blick an mir hängen, er machte buchstäblich auf dem Absatz kehrt und kam auf mich zu. „Oh Gott …“ Wo war Rosemary, wenn ich sie brauchte?

Er kam auf mich zugeschlendert und blieb vor mir stehen – eine Hand hatte er in die Hüfte gestemmt und mit der anderen hob er sein eckiges Glas an die Lippen. Seine Augen, sein Gesicht und sein Gehirn musterten jeden Zentimeter meines Körpers von oben bis unten – nicht, dass es viel für ihn zu glotzen gegeben hätte. „Aber hallo, meine kleine asiatische Schönheit …“

„Uff, nein, das hat er nicht wirklich gerade gesagt!“ „Das ist nicht lustig.“ Ich sah ihn mit ausdrucksloser Miene an.

„Du hast Recht. Ich sollte mich wohl entschuldigen. Oder vielleicht doch nicht. Könntest du, ähm …“ Sein kaltes Glas streifte meinen Arm. Er roch, glaube ich, nach Wodka. „Könntest du später einen Kimono für mich anziehen? Ich verspreche dir auch, mich entsprechend zu revanchieren.“ Er ließ seine Augenbrauen wackeln und aus seinen knallgrünen Augen blitzte mir der Schalk entgegen.

„Wie wäre es, wenn ich dir stattdessen in die Eier trete?“, sagte ich, bevor ich mir eine etwas kultiviertere Antwort zurechtlegen konnte.

Einen Augenblick lang riss er die Augen auf. „Ha!“ Dann schloss er sie wieder und schüttelte leise lachend den Kopf. „Eine von der schlagfertigen Sorte! Gefällt mir“, sagte der Typ mit dem Wodka-Atem und hielt sich den Bauch.

Mir jedoch rutschte das Herz in die Hose. Mein Herz pochte heftig. Ich hatte mich schon fast aus seinen Fängen befreit.

Doch dann …

„Tucker …“ Der süße Duft sonnengewärmter Haut zog genau im selben Augenblick an mir vorbei, in dem ich meinen Mund öffnete, um diesen Idioten wieder zurück in seine Höhle zu schicken. Punk-Cowboy von der anderen Seite des Pools kam auf uns zu. Er hatte hellbraune Augen und musste an die 1,90m groß sein, gut gebaut und mit starken Händen. Er versetzte dem grünäugigen Trottel einen Stoß. „Halts Maul, Alter! Was zum Teufel ist denn mit dir los?“ Er überragte mich mit meinen knapp 1.60m bei weitem und starrte Wodka-Atem, den Typen, der mich angebaggert hatte, finster an.

Wodka-Atem – der wohl eigentlich Tucker hieß – war kleiner als der Punk-Cowboy, doch immer noch ein ganzes Stück größer als ich. Er streckte seine Arme weit von sich. „Ich hab mich doch nur mit ihr unterhalten, du Arsch! Was zum Teufel ist denn mit dir los?

„Alter, zeig wenigstens ein bisschen Klasse, ja? Merkst du denn nicht, dass du bei ihr so überhaupt keine Chance hast?“ Er gestikulierte in meine Richtung und warf mir ein Lächeln zu, das bei mir den Verdacht aufsteigen ließ, dass das alles nur gespielt war und die beiden in Wirklichkeit nur versuchten, mich abzuschleppen. Nicht, dass sie sich an mich hätten ranmachen müssen, bei dieser Party voller Silikongöttinnen. „Tut mir leid, wenn er dich belästigt“, sagte der Punk-Cowboy und legte seine Hand sanft auf meinen Rücken.

Auch wenn er sich damit ganz schön was herausnahm, fühlte sich die kleine Geste angenehm an, und ich würde mich ganz sicher nicht dagegen wehren. Er sah echt scharf aus, auch wenn ich normalerweise nicht auf den Körper eines Typen achtete, bevor ich nicht seine Persönlichkeit genauer kennengelernt hatte. Doch benahm er sich eigentlich wie ein Gentleman, zumindest, wenn man ihn mit seinem Freund verglich.

„Ich hab sie nicht belästigt, Alter – schau sie dir doch mal an. Sag mir nicht, dass sie nicht aussieht wie das Mädchen vom Massageservice, das heute hier war.“ Tucker machte mit seinem Glas eine ausladende Geste in meine Richtung. „Hab ich nicht Recht?“

Großartig. Rumgeblödle wie damals an der High School. Ich schnalzte verächtlich mit der Zunge. Das letzte Mal, dass ich mit der Zunge geschnalzt hatte, hatte sich Samuels Freund Nicolas eine schallende Ohrfeige von mir eingehandelt. Mir reichte es so langsam. Ich wollte echt keine Asiatinnen-Witze mehr hören, wo ich mir ohnehin schon wie ein Idiot vorkam, dass ich überhaupt hier war. „Sag das nochmal“, sagte ich.

„Was soll ich nochmal sagen?“ Tucker legte die Hand auf seine Brust. „Du bist doch nicht etwa böse, oder? Süße, ich hab dir nur ein Kompliment gemacht. Du bist zweifellos die hübscheste japanische Prinzessin, die ich je gesehen habe -“

„Alter … hör auf!“ Mein Beschützer versetzte Tucker einen Stoß gegen die Brust und zerrte gleichzeitig an seinem Hemd, wodurch er das Gleichgewicht verlor.

Was mir eigentlich sehr gelegen kam, da ich im selben Augenblick meinen Arm ausgestreckt und ihm den Inhalt meines Weinglases über die unbehaarte Brust gekippt hatte. Die Flüssigkeit hinterließ eine glänzende Spur bis in seine Hose hinein. „Ich bin keine Japanerin. Ich bin Amerikanerin chinesischer Abstammung, wenn du es genau wissen willst. Wir sind nicht alle gleich. Im Gegensatz zu Arschlöchern. Wenn man eins kennt, kennt man sie alle – das habe ich zumindest irgendwo mal gehört.“

Punk-Cowboy lachte spöttisch, und ich drehte mich auf dem Absatz um, um Rosemary zu finden und die Party zu verlassen. In diesem Moment war mir alles egal, das würde ich mir nicht länger bieten lassen. Die Leute neben mir johlten mir beifällig zu, doch ich konnte mich nicht auf sie konzentrieren. Ich war nur wegen einer einzigen Sache hier: Nicht um zu feiern, nicht um mich mit meinen Tournee Kollegen anzufreunden und auch nicht, um zum ersten und letzten Mal in meinem Leben eine Beverly Hills Party zu erleben.

Nein, ich war nur gekommen, um meine Bosse kennenzulernen, wo auch immer sie sich aufhalten mochten, falls sie überhaupt hier waren.

„Hey …“ Punk-Cowboy ergriff meine Hand – sie fühlte sich warm und stark an – und wirbelte mich zu ihm herum. „Bist du okay?“

„Ja, ja, schon gut.“

„Tut mir leid wegen Tucker. Ich will ihn ja nicht verteidigen, aber er ist nur betrunken. Normalerweise ist er wirklich okay.“

„Ich hatte nicht gedacht, dass belästigt werden Teil meines Jobs sein würde.“ Da hätte ich meinem neuen Boss bereits etwas zu berichten, wie mir schien. „Kannst du mir etwas verraten, bevor ich gehe? Du scheinst ganz in Ordnung zu sein.“ Ich zog meine Hand zurück und hielt mich stattdessen am Träger meiner Abendtasche fest.

„Sicher, schieß los.“

„Kannst du mir bitte sagen, wo Liam Collier und die anderen Jungs sind? Ich möchte nur kurz „Hallo“ sagen, bevor ich gehe.“

Aufmerksam betrachtete er mein Gesicht und dachte wohl, dass ich einen Scherz gemacht hätte, gerade so wie ein ahnungsloser Fisch, der gerade versehentlich aus dem Wasser gehüpft war. „Ich bin Liam Collier.“ Er streckte mir seine Hand, die von Silberringen übersäht war, entgegen. „Freut mich, dich kennenzulernen. Und wer bist Du?“

Ich wäre am liebsten vor Schande im Boden versunken. Oh, wie peinlich.

Abby „Oh, wie peinlich“ Chan.

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