Aurora LeMonde lächelte heiter jeden Gast an, der an ihr vorbeiging. Sie war fest entschlossen, bei der jüngsten Wohltätigkeitsgala ihrer Firma Selbstvertrauen und Ruhe auszustrahlen, obwohl sie sich eher fühlte als hätte sie Rasierklingen verschluckt. Sie ermahnte sich selbst, das nicht zu tun. Sich nicht selbst zu quälen. Ihn nicht anzusehen – sie nicht noch einmal anzusehen. Leider war Auroras Selbstkontrolle, wie so oft, wenn es um ihren Boss, Giovanni Esposito, ging, gleich null. Innerhalb von Sekunden hatte sie ihn ausgemacht, ihn durch den ganzen Raum hindurch erspäht, ihn, der aussah, wie die personifizierte italienische Sünde in maßgeschneidertem Anzug. Er sah überhaupt nicht in ihre Richtung, seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Rotschopf an seiner Seite.
Ob er es nun wusste oder nicht, Gio blickte auf die Liebe seines Lebens hinab.
Auroras Augen drohten überzulaufen, ihre Kehle schnürte sich zu und hinter ihren Brauen verdichtete sich alles. Doch sie war ja ein Profi, atmete einmal tief durch und schluckte ihre Gefühle hinunter.
Sie arbeitete nun schon seit fünf Jahren für Gio. Lebte und atmete ihn. Liebte ihn heftig und still. Irgendwann, so war sie überzeugt, würden die kosmischen Puzzlestücke des Universums an ihren Platz finden, dann würde Gio an ihrem Büro vorbeikommen, sie im genau richtigen Bleistiftrock im genau richtigen Licht mit genau der richtigen Menge Haar, die über ihre Schulter fiel, sehen, und ganz plötzlich würde er sie einfach … belohnen.
Doch sie hatte ihre Gelegenheit verpasst. Oder vielleicht hatte sie überhaupt nie eine Chance gehabt. Denn die ganze Zeit über hatte eine hübsche rothaarige Frau gelebt und geatmet, und jetzt sah Gio sie auch noch so an. Als existiere er erst durch ihr Erscheinen.
Also hatte Aurora tatsächlich nie eine Chance gehabt. Nicht, was sein Herz anging. Denn dieser Ausdruck in seinem Gesicht? Der Blick sah nach Vorsehung aus.
Einem Impuls nachgebend schnappte Aurora sich ein Champagnerglas von einem vorbeigehenden Kellner und kippte die Flüssigkeit in sich hinein. Vielleicht hatte sie keine Chance auf sein Herz gehabt, aber es wäre verdammt noch mal ganz nett gewesen, ein- oder zweimal mit ihm zu schlafen. Da hätte sie wenigstens etwas gehabt, an das sie sich erinnern konnte im Altersheim, wo sie unweigerlich allein sterben würde.
Nicht dass sie verbittert oder sonst etwas war.
Sie schaute sich die Leute in ihrer Nähe an. Die meisten kannte sie, es waren Gios Klienten, Geschäftspartner oder Freunde. Da gingen sie hin, lächelnd und freundlich, einige schauten sie mit warmer Vertrautheit an, doch keiner kannte sie wirklich. Keiner wusste, dass sie innerlich ihre Knie umklammert hielt und in einer Ecke vor sich hin schaukelte. Oder dass sie von hier fortgehen und allein in ihr Bett kriechen würde, wie sie es immer tat. Sie hatte seit Jahren keine Verabredung gehabt. Selbst wenn sie nur mit einem Mann flirtete, kam sie sich Gio gegenüber untreu vor.
Bei dem Gedanken konnte sie es sich nicht verkneifen, freudlos in ihren Champagner zu schmunzeln.
Sie war einem Mann treu gewesen, der sie als eine Schwester, eine Freundin, eine Kollegin betrachtete.
Treu einem Mann, der sie zwar berührt, aber nie berührt hatte. Sie hatte aus einem Tippen auf die Schulter hier und da viel zu viel gemacht, oder der Hand, die ihr ins Taxi half oder aus einigen wenigen, wahrlich glorreichen Momenten, in denen er sie triumphierend umarmt hatte, wenn in der Firma etwas richtig gut gelaufen war.
Ach, wie besessen hatten sich diese Momente in ihr Gehirn gebrannt.
Aurora nahm noch einen Schluck von ihrem Champagner und sagte sich dann, dass sie nur noch zwanzig weitere Minuten hier investieren musste, dann konnte sie sich davonmachen. Es handelte sich um eine Wohltätigkeitsveranstaltung gegen Lungenkrebs, viele ihrer Klienten hatten großzügig dafür gespendet. Einige einflussreiche Persönlichkeiten waren anwesend, darunter die Milliardäre Jamie Whitcomb und Eric Davenport aus Los Angeles, der von Montana aus, seinem selbst gewählten Exil, hergeflogen war, nur für diesen Anlass. Sie musste gute Miene machen und sich unters Volk mischen, selbst wenn ihr Herz dabei brach.
Sie stellte ihr leeres Champagnerglas auf einen Abstelltisch und drehte sich zur Musik um. Leider stand sie nun direkt vor George Mills Junior, dem Sohn ihres ältesten Klienten. George war einer der schleimigsten Menschen, denen zu begegnen Aurora je das Pech hatte, und schon seit Jahren musste sie seine lästigen Annäherungsversuche ertragen. Obwohl sie ihm ihr mangelndes Interesse ziemlich klar zu verstehen gegeben hatte, hatte er keine Anstalten gemacht, seine Nachstellungen aufzugeben.
Seine Beharrlichkeit konkurrierte allein mit der eines anderen Mannes, einem Geschäftskollegen, der ebenfalls sein Interesse überaus deutlich bekundet hatte. Nur der Mann war alles andere als schleimig.
Ein ewiger, unverbesserlicher Verehrer.
So selbstbewusst, dass es einen wütend machte.
Übermäßig gutaussehend.
Überirdisch sexy.
Ja, Dante Callaghan war all das.
Doch Aurora war an dem notorischen Playboy nicht interessiert gewesen, als sie ihn vor vier Jahren kennenlernte. Und obwohl er es mehr als einmal geschafft hatte, sich in ihre Träume zu schleichen, hatte sie auch jetzt noch kein Interesse. Soweit es sie betraf war Gio der Mann für sie. Jetzt musste sie wohl akzeptieren, dass sie nicht füreinander bestimmt waren, aber, ach, wie sehr wünschte sie sich, sie hätte das nicht in der Gegenwart von George Junior tun müssen.
„Noch einen kleinen Refill, Ms. LeMonde?”, fragte er und schob ihr ein Champagnerglas in die Hand, bevor sie überhaupt Gelegenheit bekam zu antworten.
Sie nahm es, aber nichts in der Welt hätte sie dazu bringen können, etwas zu trinken, das George Jr. ihr gegeben hatte.
Er warf ihr einen anzüglichen Blick zu, seine Augen reichten kaum höher als bis zu ihrem Halsausschnitt. Aurora war groß, und mit ihren 1,78m hatte sie den perfekten Blick auf den fleischfarbenen Kreis oben auf George Jr.s Kopf.
Endlich schafften seine Knopfaugen es hinauf zu ihrem Gesicht. „Amüsieren Sie sich?”
Welche Antwort erwartete er? Schließlich war es ihre Firma, die diese Wohltätigkeitsveranstaltung schmiss.
„Aber natürlich”, antwortete sie ruhig. „Ist doch ein ganz wundervolles Ereignis. Ist Ihr Vater auch hier? Ich würde mich freuen, ihn zu sehen.”
Das stimmte. George Senior war ein vertrauenswürdiger Klient. Ehrlich, fair, eine echte Persönlichkeit. Es war Aurora ein vollkommenes Rätsel, wie er jemanden wie George Jr. hatte hervorbringen können. Sie schielte einen Moment nachdenklich auf den kleinen Mann hinab.
Er stürzte sich gleich auf ihre augenblickliche Aufmerksamkeit wie ein Mann, der versuchte, mit bloßen Händen einen Lachs aus dem Fluss zu ziehen. „Leider hatte er heute Abend anderweitige Pläne. Haben Sie sich Gedanken über mein Angebot gemacht?”
Auf der anderen Seite des Raums warf die Frau an Gios Seite ihren Kopf in den Nacken und lachte über etwas, das er ihr ins Ohr flüsterte. Auroras Magen zog sich zusammen. Oh, Gott. Sie hatte noch nie gesehen, dass Gio jemandem etwas ins Ohr flüsterte. Gott. Herrgott Sakrament. Aurora spürte, wie sie für einen Augenblick jegliches Gefühl für Zeit und Raum verlor. Und das war auch noch ein echtes Lachen gewesen. Nichts Affektiertes oder Künstliches. So sehr sie es auch hasste es zuzugeben, Aurora fing an zu glauben, dass sie Gios Frau unter anderen Umständen vielleicht sogar gemocht hätte. Bei dem Gedanken verkrampfte sich ihr Magen nur umso mehr.
Aurora versuchte, sich auf George Jr.s verkniffenes kleines Gesicht zu konzentrieren. In der Sekunde, in der er merkte, dass sie ihn wieder ansah, sprangen seine Augen von ihrer Brust hinauf.
Aurora verkniff sich ihre Wut. Das passierte ihr nun schon seit sie fünfzehn war. Männer waren in so vielen Punkten einfach eine schlicht und vorhersehbare Spezies. „Entschuldigen Sie, was haben Sie gesagt, Mr. Mills?”
Etwas flammte in George Jr.s Augen auf, als sie ihn so förmlich anredete, und Aurora hätte sich am liebsten übergeben. Nicht in einer Million Jahre hätte sie wissen wollen, welcher Gedanke für diesen lüsternen Gesichtsausdruck verantwortlich war.
„Ich habe gefragt, ob Sie noch einmal über mein Angebot nachgedacht haben. Erinnern Sie sich? Ich habe mit Ihnen darüber gesprochen, als wir uns an Silvester begegnet sind. Mein Strandhaus?”
Ah, ja. Das Strandhaus. Die kleine Knalltüte hatte doch tatsächlich den Nerv gehabt, sie einzuladen, eiskalt, zu einem privaten Wochenende in seinem Strandhaus in Malibu. Nur sie beide.
„Lustig”, Aurora konnte eine scharfe Erwiderung kaum zurückhalten. „Ich hatte das für einen Annäherungsversuch gehalten, kein Angebot.”
George Jr.s Wangen wurden augenblicklich knallrot. „Ich wollte bloß–”
„Sehen, ob Ms. LeMonde sich vom Geld Ihres Daddys verführen lässt?”
Die tiefe Stimme kam von hinten, ebenso wie die große, warme Hand, die sich jetzt auf ihr Kreuz legte. Auroras gesamter Körper verkrampfte sich.
Großartig. Genau das hatte ihr jetzt noch gefehlt.
Dante Fucking Callaghan. Sie war sowas von überhaupt nicht in der Stimmung für seine Gegenwart, die einem die Luft nahm. Trotzdem musste sie sich beherrschen, sich nicht umzudrehen, um sein sicherlich umwerfendes Aussehen anzuhimmeln. Sein hellbraunes Haar war kurz, doch immer sah es irgendwie etwas zerzaust aus, und immer war sein scharfes Gesicht etwas verschattet, immer leuchteten seine blauen Augen durch ein inneres Feuer, das sie wärmte, wenn sie zu lange in sie hinein schaute. Dante war nicht laut oder aufdringlich, doch er war beeindruckend und souverän. Er füllte jeden Raum mit seinen breiten Schultern, seinen alles sehenden Augen und seinem ständig halb amüsierten Grinsen.
George Jr. fing an zu haspeln und wurde nur noch roter. Dante stand immer noch direkt hinter ihr, doch sie konnte sein kaum zurückzuhaltendes Amüsement spüren. Sie schaute auf ihre Hände, als eine seiner großen Pranken ihren unberührten Champagner wegnahm und durch einen frischen ersetzte.
Endlich trat er vor sie, und Aurora wurde im selben Moment von dem unendlichen Nachthimmel seiner dunkelblauen Augen verschlungen. Diese verdammt umwerfenden Augen. Die mussten natürlich auch noch an dem ärgerlicherweise attraktivsten Mann der Geschichte angebracht sein.
„Ich wollte nichts in der Art andeuten, Aurora!”, beharrte George jr., der sich wie ein Ballon aufblähte. „Wenn Sie es unbedingt wissen müssen, Mr. Callaghan, ich wollte nur–”
„Tun Sie sich selbst einen Gefallen, Junior, und verschwinden Sie, bevor Sie sich noch tiefer reinreiten”, meinte Dante und nippte beiläufig an seinem Getränk, während er sich näher an Aurora stellte.
Aurora hätte sich beinahe an dem Champagner, den sie gerade trinken wollte, verschluckt. Sie hatte immer gewusst, dass Dante respektlos war, doch George Mills jr. war der Sohn eines der einflussreichsten Männer der Stadt. Als einer der besten Analysten im Geschäft, arbeitete Dante oft mit Gio zusammen an Projekten, das war auch der Grund, weshalb Aurora ihn so oft sah.
Zu oft für ihren Geschmack.
George Jr., der sich offensichtlich dazu entschlossen hatte, klein beizugeben, zumindest dieses Mal, nickte steif in Auroras Richtung und drehte sich auf dem Absatz um.
Sie schaffte es irgendwie, ein dankbares Lächeln zu unterdrücken. „Also ehrlich, Dante”, sagte Aurora und sah ihn vorwurfsvoll an.
„Was denn?” In einer geradezu kindlichen Geste hob er seine Hände. „Er hat sich wie ein Sackgesicht aufgeführt, also habe ich dafür gesorgt, dass er sich wie ein Sackgesicht fühlt. Was ist daran so schlimm?”
Aurora verdrehte die Augen und vergrößerte den Abstand zwischen ihnen beiden um ein paar Zentimeter. „Was daran so schlimm ist, ist, dass er der Sohn unseres größten Klienten ist.”
Weil sie plötzlich das Gefühl hatte, das nicht eine Minute länger ertragen zu können – verdammte berufliche Verpflichtungen – stellte Aurora ihr Glas ab und wollte weggehen.
„Ach, komm schon, LeMonde, du weißt, dass Mills nirgendwo anders hingehen wird, egal wie oft Juniors Gefühle verletzt werden. Er schwört auf dich und Gio.”
„Das mag ja sein”, erwiderte sie gleich, die Worte brannten auf ihrer Zunge und wollten überraschend leicht hinaus. Nachdem sie gefühlt ihr ganzes Leben lang Dinge zurückgehalten hatte, die sie im gleichen Moment hatte loswerden wollen, war es ganz angenehm, mal ein wenig schärfer mit jemandem sprechen zu können. „Aber warum soll man es drauf ankommen lassen? Das ist wieder ganz typisch für dich, dass du handelst, ohne vorher nachzudenken, und dann einfach verschwindest, denn derjenige, der hinterher die Scherben aufsammeln muss, ist dir scheißegal!”
„Welche Scherben?”, wollte er wissen, stellte sich vor sie und unterbrach ihren Ausbruch. „Und wer ist derjenige?”
Aurora riss sich kurz zusammen und hätte am liebsten die Fäuste in die Hüften gestemmt. Doch sie wusste nur zu gut, wie das aussehen würde. Zwei Menschen, die am Rand einer Firmenparty miteinander stritten. Bei dem Gedanken faltete sie ihre Hände vorsichtig vor sich ineinander und biss ihre Zähne zu einem, wie sie hoffte, für alle von weitem sichtbaren höflichen Lächeln zusammen.
„George Juniors verletztes kleines Ego sind die Scherben, die ich meine. Und ich bin diejenige, die es beim nächsten Mal, wenn er ins Büro kommt, pflegen darf. Und dann muss ich die ganze Zeit ausweichen vor …” Wovor? Seinen Händen? Augen? Seinem Atem? Jede Option war für Aurora gleich abstoßend, und sie gab die Wahl auf. „…allem!”
Dantes Kiefer verkrampfte sich, bevor er sich wieder entspannte und seufzte. „Du hast recht”, sagte er und nahm ihren Ellbogen in die Hand, als sie versuchte, an ihm vorbeizugehen. „Ich hätte mich nicht so einmischen sollen. Ich wollte nur, dass er seine verdammten Augen in seinen Kopf zurückholte, wo sie hingehören.”
„Damit sind wir schon zu zweit”, räumte Aurora ein. Sie sah ihn misstrauisch an. Warum war er nur so nett? So … menschlich. Normalerweise hätte er sie, wenn sie schon so lange miteinander sprachen, mindestens bereits zweimal gefragt, ob sie mit ihm ausgehen würde. Stattdessen stand er hier und sah ihr tatsächlich in die Augen, behandelte sie, als verstünde er ihre Probleme.
Und dann wanderte sein Blick auf ihren Busen.
„Er hat ganz schön Glück gehabt, dass ich ihm die Augen nicht zugetackert habe dafür, dass er dich so angesehen hat, Jessica.”
Auroras Kinnlade fiel herunter. Uuund das Arschloch war zurück. Er begutachtete doch tatsächlich ihren ganzen Körper mit diesen tiefblauen Augen und nannte sie auch noch beim falschen Namen.
„Soll das ein verdammter Scherz sein, Callaghan?” Ihre professionelle Fassade verbrannte auf Chipgröße, als ihre Gereiztheit ihren Höhepunkt erreichte. Sie ging einen Schritt vor in seinen Nahbereich und legte einen Finger auf seine breite Brust. Aurora war mit ihren Absätzen groß, an die 1,83 Meter, doch er überragte sie immer noch. Sein sündiger Mund verzog sich zu einem Grinsen, und sein dunkles Haar fiel ihm über die Braue. „Wir arbeiten nun schon seit vier Jahren zusammen, die ganze Zeit über baggerst du mich an wie so ein dämlicher Lackaffe, und du bekommst nicht einmal meinen Namen hin? Gott! Was bin ich eigentlich? Ein Magnet für Fuckboys?”
Sie warf ihre Hände in die Luft als richtete sie diese Frage an das Universum selbst, und Dante schnappte sich mit Leichtigkeit eine ihrer Hände aus der Luft und verflocht seine Finger mit ihren.
„Ich kenne deinen Namen, Aurora, vertrau mir. Ich habe ihn schon oft genug nach Geschäftstreffen in mein Kissen gestöhnt.”
Aurora zwang sich einen neutralen Gesichtsausdruck auf, da sie ihm nicht die Befriedigung gönnte, dass sie schockiert war. „Du bist so ein Schwein, Callaghan.”
„Nein”, korrigierte er sie und hielt ihre Hand ganz fest, als sie versuchte, sie ihm zu entziehen, und beschrieb mit seinem Daumen einen Kreis auf ihrem Handgelenk. „Ich bin ein Mann. Und du bist die schönste Frau im Raum, egal in welchem Raum.”
Einen Moment lang sorgten seine Worte dafür, dass Freude sie durchfuhr, doch sie sagte sich, dass das alles war: hübsche Worte eines Meisters der Verführung. Sie schmunzelte und zog erneut an ihrer Hand. „Und doch kannst du dich scheinbar nicht an meinen Namen erinnern.”
„Ich habe dich nur deshalb Jessica genannt, weil du in deinem Kleid aussiehst wie Jessica Rabbit.”
Aurora bereute gleich das überraschte Lachen, dass aus ihr hervorsprudelte. Sie biss es weg, ignorierte den zufriedenen Ausdruck auf seinem Gesicht. Aurora schaute auf ihr rotes, bodenlanges Abendkleid hinunter. Es war verdammt sexy, nahm sie an. Doch es ging eindeutig eher in Richtung klassisch als in Richtung Sexbombe. „Tue ich nicht.”
„Und ob. Glaub mir, als ich dich von der anderen Seite des Raums aus gesehen habe, hab ich Stielaugen wie im Comic bekommen.” Mit seinen Händen machte er ihr vor, wie seine Augen aus dem Kopf vortraten.
Aurora verbiss sich eine weitere Lachsalve, verschränkte ihre Arme und brachte ihre Hände aus seiner Reichweite. „Nun, hört sich an als wäre das dein Problem, nicht meins. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest, da sind ein paar Klienten, mit denen ich noch sprechen muss.”
Sie wusste, dass sie sich gerade sehr hochnäsig verhielt. Und die Esposito-Gruppe arbeitete tatsächlich häufig mit Dantes Firma an größeren Projekten, aber mal ehrlich, sollte ihr Benehmen dazu führen, dass sie diese Partnerschaft verloren, dann würde ein Teil in ihr sich freuen, dass sie nicht mehr so viel mit ihm zu tun hätte. Er war einfach nur nervtötend. So groß und direkt. So frustrierend umwerfend und verführerisch, selbst wenn alles für ihn nur ein Spiel war.
Gott sei Dank schaffte sie es davon zu kommen, ohne dass Dante versuchte, sie aufzuhalten. Sie redete sich ein, dass sie das nicht enttäuschte. Und in Wahrheit war sie auch nicht sehr überrascht. Dante flirtete nun mal gern, und er hatte schon bei mehr als einer Gelegenheit klargemacht, wie sehr er sie wollte, zumindest körperlich. Doch er war nie zu weit gegangen. Darüber hinaus war er immer, in jedem ihrer Meetings, gewissenhaft professionell.
Sie hatte gar nichts gegen die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte. Genauso, wie sie auch nichts dagegen hatte, dass sein Blick auf ihrem Arsch klebte, als sie davon ging. Sie konnte ihm nur nicht nachgeben – selbst wenn das Wissen, dass Gio jetzt, in eben diesem Moment mit der rothaarigen Frau seiner Träume zusammen war, sie am Boden zerstörte.
Aurora verschmolz mit der Menge und ließ sich gleich in eine Unterhaltung hineinziehen. Noch zehn Minuten, dann wäre sie hier weg.
Mit nichts als einem Wochenende voller Eis und Gedanken an Gio. Oh, welch Freude!
Sie wollte sich gerade von der Party davon schleichen, denn ihre zeitlichen Verpflichtungen hatte sie komplett erfüllt, als eine Hand ihr auf die Schulter tippte.
Aurora zwang sich zu einem freundlichen Gesichtsausdruck und drehte sich zu Gios Brust um.
„Du gehst schon so früh?”, fragte er ganz freundlich, ohne die Spur eines Vorwurfs.
Er sah glücklich aus, wie Aurora sowohl mit einem niederschlagenden als auch einem erhebenden Gefühl in der Magengegend feststellte. Sie wollte ja, dass er glücklich war. Sie war nur immer noch verunsichert darüber, dass er mit einer anderen Frau glücklich war.
„Kopfschmerzen”, sagte sie, und ihr war nur zu gut bewusst, dass sie sich gerade wie ein Feigling verhielt.
Besorgt verengten sich Gios Augen augenblicklich. „Bist du krank?”
„Nein, nein”, beeilte sie sich zu sagen und fühlte sich schlecht, weil sie ihn angelogen hatte. „Bin nur etwas müde, das ist alles.”
„Nun, meinst du, du bekommst noch fünf weitere Minuten Smalltalk hin? Da ist jemand, den ich dir gerne vorstellen wollte.”
„Klar”, sagte Aurora schwach, denn sie wusste sehr wohl, wen er ihr vorstellen wollte. Ihre Brust zog sich zusammen, und ihr Puls begann zu toben, wie ein Sturm draußen auf dem Meer. Wie in Trance folgte sie Gio durch die Menschenmenge.
Und da war sie, die hübsche Rothaarige. Sie stand genau da. Sie sah perfekt und zierlich aus und sagte etwas zu Aurora, das sie bei dem lauten Dröhnen in ihren Ohren kaum hören konnte.
Aurora schüttelte ihr die Hand, nickte und lachte höflich an den richtigen Stellen. Und dann, drei Minuten später, nachdem sie einander noch einen schönen Abend gewünscht hatten, entfernte sie sich von ihnen.
Im hinteren Gang bei der Garderobe starrte sie einen leeren Punkt in der Luft an und kam wieder zu sich. Was zum Teufel war gerade geschehen? Sie hatte gerade die Frau kennengelernt, die Gio nun mit nach Haus nehmen, und mit der er schlafen würde. Darüber hinaus hatte sie gerade Gios zukünftige Frau kennengelernt. Sie wusste es einfach. Sie fühlte es in den Knochen. Sie war keine Hellseherin, nicht wie ihre Mutter, das hieß aber nicht, dass sie nicht über eine überdurchschnittliche Intuition verfügte.
Aurora spürte, wie eine Übelkeit erregende Panik sie durchfuhr. Gios Frau war so hübsch. Süß und nett. Rose. Die hübscheste Blume, die es gab.
„Aurora?”
Sie biss die Zähne zusammen bei dem Klang der kiesigen Stimme, die ihr einen Schauer den Rücken hinunter jagte.
„Was ist?” Sie konnte es sich nicht verkneifen, zu blaffen, während sie sich umdrehte und Dante im schummrigen Licht des hinteren Gangs gegenüber stand.
Er hob seine Hände, als wollte er sich ergeben. „Ich bin nicht gekommen, um dich wütend zu machen. Geht es dir gut? Du siehst aus, als hättest du gerade einen Geist gesehen.”
Aurora betrachtete ihn in dem bläulichen Licht, ihre verschwommene Sicht wurde auf einmal schmerzhaft klar. Der Partylärm wurde leiser, als Schatten über sein Gesicht zogen, die sein scharfes Kinn betonten, sein unendlich tiefen blauen Augen und die dunklen Brauen. Er war so groß, dass er verdammt noch mal beinahe den ganzen Gang einnahm. Er war tatsächlich sogar so groß, dass Aurora sich in seiner Nähe klein fühlte. Und das wollte schon etwas heißen, denn sie war nie klein oder zierlich gewesen, nicht einmal, als sie noch ein Kind gewesen war.
Sein Duft – Seife und Waschmittel und Whiskey – wehte in dem kleinen Raum zu ihr herüber, und ihr Puls begann zu rasen. In diesem Moment, zum allerersten Mal überhaupt, öffnete sie sich dem Hingezogensein, das sie zu ihm spürte, und dachte über die Möglichkeiten nach …
Sie neigte ihren Kopf, musterte ihn, und seine Brauen zogen sich zusammen, als versuchte er, aus ihrer Stimmung schlau zu werden.
Ein Gedanke machte sich in ihr breit. Ein gefährlicher Gedanke. Und dennoch ein interessanter. Warum sollte Gio der einzige sein, der heute Nacht beschäftigt war? Sie konnte eine gute, altmodische, schweißtreibende Sünde jetzt nur allzugut gebrauchen. Es war schon lange genug her.
Vielleicht würde es helfen. Doch nur, wenn es heiß war. Sie brauchte etwas, das heiß genug war, um ihr diese Gefühle der Eifersucht und des Verlustes auszubrennen.
Also war die Frage nun, ob Dante Callaghan es so kurz vor der Ziellinie noch vermasseln würde, oder ob er es ihr so richtig besorgen würde. Ihr Blick senkte sich auf seine großen Hände, die er halb in seine Hosentaschen geschoben hatte. Sie passten zu der beeindruckenden Breite seiner Schultern. Und schließlich fokussierten sie die unübersehbare Wölbung hinter seinem Reißverschluss.
Sie hob die Brauen. Naja, selbst wenn er schrecklich im Bett wäre, damit konnte sie was anfangen.
„War das alles nur Gerede?”, fragte sie ihn, ihre Stimme klang selbst in ihren Ohren rau und verführerisch.
Er runzelte die Stirn und hob eine Braue. „Bitte?”
Sie ging einen Schritt auf ihn zu. „All diese hübschen Worte, die du in all den Jahren immer für mich übrig hattest. War das nur Gerede? Hattest du vor, jemals etwas daraus zu machen?”
Dantes Augen verengten sich gleich, als er verstand, während er ansonsten vollkommen ruhig blieb. „Möchtest du, dass ich etwas daraus mache?”
Aurora zuckte langsam mit einer Schulter und spürte, wie der Stoff ihres Kleides über ihrem Busen spannte. Sie fühlte sich waghalsig und notgeil und als würde ihre Seele vertrocknen, wenn sie ihr heute Nacht nicht etwas zu naschen gab. Und was sie ihr in genau diesem Moment zu naschen geben wollte war Dante Callaghan.
„Aus irgendeinem Grund ja. Das möchte ich. Also, was sagst du?”